Rezension: Christliche Gotteslehre im Orient seit dem Aufkommen des Islams bis zur Gegenwart

Heiko Wenzel

Martin Tamcke (Hrsg.), Christliche Gotteslehre im Orient seit dem Aufkommen des Islams bis zur Gegenwart. Beiruter Texte und Studien 126, Beirut: Orientinstitut; Ergon: Würzburg 2008, VIII + 224 S., 42,00 €.

Diese Aufsatzsammlung fasst ein Symposium des Graduiertenkollegs „Götterbilder, Gottesbilder, Weltbilder“ an der Georg-August-Universität zur christlichen Gotteslehre im Mashriq zusammen. Martin Tamcke, ein Experte für Ostkirchenkunde und Orientalische Kirchengeschichte an dieser Universität in Göttingen, legt damit wertvolle Vorarbeiten für „Eine Theologiegeschichte der unterschiedlichen Traditionen des christlichen Orients“ vor (S. VIII). Die Beiträge werden drei Epochen (frühislamische Zeit, vom Mittelalter zur Neuzeit, vom Missionszeitalter zur Gegenwart) zugeteilt. Mehrheitlich beschreiben sie das Ringen christlicher Zeugen um angemessene Formulierungen für (christlich-) theologische Aussagen in ihrem islamischen Umfeld. Die Deutung des trinitarischen Gottesbildes und die Rede von Jesus als Sohn Gottes stehen dabei im Mittelpunkt.

Martin Heimgartner mit „Trinitätslehre beim ostsyrischen Patriarchen Timotheos (780–823) in der Auseinandersetzung mit dem Islam“ (S. 69–80) sowie Georges Tamar mit „Christliche Trinität und islamischer Monotheismus: Yahya Ibn Adis Gottesbild“ (S. 83–99) stellen in ihren Fallbeispielen überzeugend dar, wie platonische Philosophie (Timotheos) bzw. aristotelische und neuplatonische Begrifflichkeit (Yahya Ibn Adi) dieses Ringen beeinflußte. Beide christlichen Zeugen wollten ihre muslimische Gesprächspartner davon überzeugen, „dass die Christen keine Polytheisten sind, sondern als Monotheisten an einen dreieinigen Gott glauben“ (S. 83). Dies geschah in einer Zeit (9. Jhd), in der viele Schriften von griechischen Philosophen ins Arabische übersetzt wurden (S. 83), woran so mancher Christ tatkräftig beteiligt war (S. 13, 83). Diese Christen berücksichtigten somit ihr Umfeld in religiöser und geistiger Hinsicht, um ihre Überzeugungen auf verständliche Art und Weise zu vermitteln. Die Beschäftigung mit Ideen aus der griechischen Philosophie wurde hier zur Plattform.

Assaad Elias Kattan stellt mit Georges Khodr den gegenwärtigen byzantinisch-orthodoxen Metropoliten des Berg-Libanons vor. Man kann seine Theologie mit dem Titel des Beitrags „Das Kreuz als Hingabe (islam) an den Willen Gottes“ bzw. mit „Jesus von Nazareth, der gekreuzigte Herr“ (S. 214) zusammenfassen. Seine Rede von Jesus vollzieht sich stets in direkter oder indirekter Auseinandersetzung mit seinem muslimischen Umfeld und denkt Menschwerdung Jesu und seine Kreuzigung stets zusammen (S. 216). Kattan lehnt die Leugnung des Todes Jesu in islamischer Theologie ab und knüpft an islamische Mystik an. Er verwirft christliche Kreuzesideologien, sofern sie Kreuzzüglertum, Triumphalismus oder Selbstkasteiungen befördern (S. 217). Wenn Khodr das Kreuz als Höhepunkt der Offenbarung bestimmt (S. 220), will er explizit Aspekte des Islams „korrigieren“ (S. 219). Nicht zuletzt argumentiert Khodr, dass Jesus durch seinen Tod am Kreuz die Liebe vollendete und bedingungslose Hingabe (=islam) praktizierte (S. 222).

Viele wichtige Fragen werden durch diesen Band aufgeworfen und sollten zu weiteren Untersuchungen anregen. Insgesamt ist dem Herausgeber zu danken, denn viele Beiträge verweisen auf „hervorragende Beispiele der Aufrechterhaltung von religiöser Identität und kultureller Aufgeschlossenheit“ (S. 83, Fn. 1). Die Sammlung gibt wertvolle Einblicke in wichtige Aspekte der christlichen Gotteslehre im Orient, wie sie sich in der Begegnung mit dem Islam im Laufe der Jahrhunderte gestaltete.