Polygamie (Vielehe)

Daniel Hecker

Der Koran beschränkt die Zahl der Ehefrauen eines Mannes in Sure 4,3 auf die Ehen mit vier Frauen (gleichzeitig):

„… heiratet, was euch an Frauen gut ansteht (oder beliebt?), (ein jeder) ein, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, (so viele) nicht gerecht zu (be)handeln, dann (nur) eine oder was ihr (an Sklavinnen) besitzt.“

Zu den vier Ehefrauen können nach diesem Vers also in unbeschränkter Anzahl Nebenfrauen hinzukommen, die nicht den rechtlichen Status der Ehefrauen erhalten. Nach einer Scheidung von einer Frau kann erneut eine Frau hinzugeheiratet werden.

Einige wenige muslimische Theologen haben den einzigen Koranvers in Sure 4,3, der zur Zahl der Frauen eines muslimischen Mannes Stellung nimmt, so ausgelegt, dass sich der Koran hier eigentlich gegen die Polygamie ausspricht. Die geforderte Gleichbehandlung von mehreren Frauen sei nämlich niemals möglich, daher favorisiere der Koran eigentlich die Einehe. Der Koran benennt zudem selbst dieses Problem:

„Und ihr werdet die Frauen nicht wirklich gerecht behandeln können, ihr mögt euch noch so sehr bemühen“ (Sure 4,129).

Die Mehrzahl der muslimischen Theologen hat jedoch an der prinzipiellen Erlaubnis der Eheschließung mit vier Frauen festgehalten. In der Praxis sind nur ein kleiner Prozentsatz aller muslimischen Ehen polygame Ehen. Die Türkei verbot die Polygamie 1926, Tunesien 1956, in allen anderen islamischen Ländern ist sie jedoch erlaubt. Die Mehrehe kommt vor allem im ländlichen Bereich vor und hat dort auch wirtschaftliche Gründe, oder sie wird geschlossen, wenn die erste Frau unfruchtbar ist, der Ehemann sie aber nicht verstößt. Die meisten Länder haben heute Erschwernisse für den Abschluß einer Zweit- oder Drittehe vorgeschaltet, wie z.B. die Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehemannes.

Für die apologetische Verteidigung der Polygamie haben muslimische Theologen immer wieder angeführt, dass sie eine sinnvolle gesellschaftliche Regelung sei, denn:

  1. Muhammad habe die Polygamie praktiziert und damit gelte dieses Verhalten als Gewohnheit Muhammads (arab. sunna) als vorbildhaft für alle Muslime.
  2. Das vorrangige Motiv Muhammads bei seinen Eheschließungen sei die Versorgung der Witwen gewesen, deren Ehemänner in den Kämpfen der ersten muslimischen Gemeinde gefallen seien.
  3. Im Falle von Kriegen und Katastrophen ermögliche nur die Polygamie vielen Frauen eine legale Ehe und damit einen positiven gesellschaftlichen Status.
  4. Der Mann besäße einen stärkeren sexuellen Trieb, der nicht von einer Frau alleine befriedigt werden könne, die zudem durch regelmäßige Zeiten der ‚Unreinheit’ nur zeitweise zum ehelichen Verkehr in der Lage sei.
  5. Zudem sei es „Heuchelei“ einer offiziell zwar monogam lebenden westlichen Gesellschaft, wenn sie die Polygamie zwar anpranger, aber gleichzeit Ehebruch und außereheliche Verhältnisse als alltägliche Erscheinungen dulde.