Interview zur Verhaftung deutscher Konvertiten und ihrer Rolle innerhalb des islamischen Extremismus

Institut für Islamfragen

Nachfolgend geben wir die Zusammenfassung eines Interviews wieder, das Frau Prof. Dr. Schirrmacher am 6. September 2007 The Associated Press gegeben hat.

Deutsche für Allah

Konvertiten laut Experten besonders anfällig für Fanatismus – Allein 2006 rund 4.000 Übertritte zum Islam

Nils Weisensee

Frankfurt/Main (AP) Frisch bekehrt und stark im Glauben: Wer als Deutscher zum Islam konvertiert, stürzt sich oft mit besonderer Leidenschaft ins spirituelle Leben. „Die meisten Konvertiten wollen den geborenen Muslimen zeigen, dass sie ganz besonders religiös sind“, sagt Gerhard Isa Moldenhauer, der vor mehr als 25 Jahren zum Islam übertrat und heute Vorstandsmitglied des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland ist. Allein im vergangenen Jahr konvertierten in der Bundesrepublik rund 4.000 Menschen zum islamischen Glauben. Etwa ein Prozent von ihnen neigt nach Einschätzung des Instituts zu Fanatismus und Gewalt.

Auch zwei der am Dienstag festgenommenen Terrorverdächtigen, die den Ermittlern zufolge mit 730 Kilogramm Wasserstoffperoxidlösung massive Bombenanschläge auf US-Einrichtungen planten, konvertierten als Erwachsene zum Islam. Die mutmaßlichen Mitglieder der Islamischen Dschihad-Union sollen Kontakte zum Terrornetzwerk Al Kaida haben und in einem Lager in Pakistan ausgebildet worden sein.

Natürlich hätten nicht alle Konvertiten eine Tendenz zur Radikalisierung, sagt die Islamwissenschaftlerin und Leiterin des evangelischen Instituts für Islamfragen, Christine Schirrmacher. Während einige nach der Heirat mit einem muslimischen Partner konvertierten, fänden andere in persönlichen Krisensituationen wie Scheidungen oder Pleiten zum islamischen Glauben.

„In manchen Fällen sind es aber Leute, die mit der Haltlosigkeit der modernen Gesellschaft nicht zurecht kommen“, erklärt Schirrmacher. Die Fülle von Regeln, die der Islam den Gläubigen bereitstelle und die es im Christentum so nicht gebe, sei für diese Persönlichkeiten besonders attraktiv. Weil viele von ihnen außerdem auf der Suche nach Sinn seien, wollten sie nach ihrer Bekehrung ganz konkret etwas zur Förderung des Islams tun – und driften dabei leicht ab in den Fanatismus.

Wer im Einzelfall zum Terroristen wird, lässt sich Schirrmacher zufolge jedoch nur schwer vorhersehen. Auch im deutschen Nationalsozialismus hätten normale Leute in völliger Fanatisierung plötzlich Dinge getan, die sie vorher nie gemacht hätten, sagt sie. „Das ist ein Transformationsprozess. Diese Menschen werden radikal, sie sind es nicht von Anfang an.“

„Für Islamisten sind Konvertiten besonders wertvoll“

Seit 1945 sind nach Erhebungen des Islam-Archivs etwa 18.000 Deutsche zum Islam übergetreten. Anderen Schätzungen zufolge leben heute bis zu 40.000 Kinder und Erwachsene deutscher Herkunft nach den Regeln des Korans. Insgesamt leben in Deutschland etwa 3,3 Millionen Muslime. Dabei war die Zahl der Konvertiten in Deutschland mit 4.000 Personen im vergangenen Jahr so hoch wie seit 1920 nicht mehr. 2005 waren nur etwa 1.000 Deutsche zum Islam übergetreten, in den Jahren vor den Anschlägen vom 11. September 2001 waren es nach Angaben des Islam-Archivs nur 250 bis 300.

Moldenhauer sagt, es gebe einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Attentaten in den USA und der folgenden Ablehnung des Islams in der Öffentlichkeit. „Je höher der Druck von außen, desto höher die Übertrittsquote“, erklärt er. „Je mehr der Islam in der Öffentlichkeit angegriffen wird, desto mehr interessieren sich die Leute dafür. Deshalb steigt auch die Zahl der Konvertiten.“ Dieses Phänomen sei auch bei den Übertritten weiblicher Gläubiger sichtbar: Hier sei es die Kampagne gegen Kopftücher gewesen, die viele Frauen dazu veranlasst habe, den Islam anzunehmen.

Der Anteil weiblicher Konvertiten liegt demnach schon seit Jahren bei etwa 60 Prozent. Etwa 80 Prozent aller Frauen und Männer, die in Deutschland zum Islam konvertieren, fühlten sich zuvor dem Christentum zugehörig. Rund 20 Prozent sind dagegen überwiegend Einwanderer aus Osteuropa ohne religiösen Hintergrund.

„Der Grund für die Konvertierung zum Islam ist für viele Konvertiten die Freiheit im Denken bei dieser Religion“, sagt der Muslim Moldenhauer im Gegensatz zur Protestantin Schirrmacher. Viele hätten Probleme mit der Institution Kirche, dem Unfreisein in der Glaubensgemeinschaft und der empfundenen religiösen Bevormundung. Bei Muslimen sei die Bindung an die Gemeinschaft dagegen weniger eng, erklärt er. „Man ist nicht der Knecht eines anderen Knechts.“

Dennoch sind die neuen Gläubigen mit deutschem Hintergrund besonders für die Fanatiker unter den Muslimen ein attraktives Ziel. „In Europa geborene Leute sind viel weniger auffällig“, sagt die Islamwissenschaftlerin Schirrmacher. So werde der blonde Europäer an Flughäfen weniger stark kontrolliert. „Für islamistische Gruppen sind Konvertiten deshalb besonders wertvoll.“ Deutschstämmige Muslime dürften jedoch nicht unter Generalverdacht gestellt werden, warnt Moldenhauer. „Damit schürt man Ängste in der Bevölkerung. Und dafür gibt es keinen Grund.“

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