Was ist „politischer Islam“?

Dr. Friedmann Eißler

In jüngster Zeit sind vier Bücher zum politischen Islam erschienen, drei davon allein im Jahr 2019, die alle den Begriff im Titel tragen.1 Neu ist die Beschäftigung mit dem Thema nicht, doch seit der Warnung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzleiters Burkhard Freier vor zwei Jahren, es gehe von der Muslimbruderschaft – und damit ist der politische Islam gemeint – eine „weitaus größere Gefahr für die deutsche Demokratie aus als von der radikal-islamischen Salafisten-Szene“, wird die mediale Aufmerksamkeit spürbar größer.2

Von den Strukturen und Strategien, auf die dieser Hinweis zielte, konnte man sich Anfang 2019 ein Bild machen, als sich wichtige Akteure des politischen Islam in Köln versammelten und ihre gemeinsame Linie darlegten.3 Durch die Recherchen der französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot wurde – ebenfalls 2019 – die millionenschwere Unterstützung der Muslimbruderschaft in Europa durch das Emirat Qatar breiter bekannt gemacht. Qatar ist mit dem Vorwurf konfrontiert, der Muslimbruderschaft weltweit unter die Arme zu greifen, auch in Deutschland.4 Anfang 2020 kam es in Österreich zu einer Kontroverse um eine geplante unabhängige „Dokumentationsstelle für den politischen Islam“, die islamistische Strukturen und Akteure professionell ins Visier nehmen soll.5 Auffällig war schließlich, dass ein bisher einmaliger Vorgang innerhalb der islamischen Verbände in Deutschland wie eine Reaktion auf zunehmenden Druck von außen aussah: Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) muss ihre Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime in Deutschland seit Ende 2019 auf Beschluss dieses Verbandes ruhen lassen.6

Diese Momentaufnahmen wie auch die teilweise harschen Reaktionen zeigen die Relevanz des Themas. Ali Mete vom Milli Görüş Online-Magazin IslamiQ sieht einen „neuen Kampfbegriff“ im Anmarsch.7 Er fühlt sich an den Begriff Salafismus erinnert, den man aus „einem vermeintlich sicherheitspolitischen Kalkül“ heraus „kreiert“ habe, ohne recht über die Folgen nachzudenken. Nicht wenige Muslime weisen den Begriff generell zurück und behaupten, „damit solle jegliches politische Engagement von Menschen muslimischen Glaubens verhindert werden“. Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Ümit Vural, wie Mete ein Mann der Milli Görüş, tadelt, der Begriff stigmatisiere pauschal „alle in Österreich lebenden Musliminnen und Muslime“8.

Unter den Herausforderungen für unsere Gesellschaft sei der politische Islam nicht die größte, gleichwohl sei der militante, gewaltbereite Islam durchaus eine Bedrohung, so die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. Wenn unter „politischem Islam“ alles subsumiert werde, was am Islam und bestimmten Muslimen irgendwie anstößig erscheine, werde der Begriff in dieser Vagheit „völlig unbrauchbar“. Es fehle dem Begriff an Trennschärfe. „Hier wird ein Monster kreiert, das überall und nirgends ist. Das halte ich für einen schweren politischen Fehler.“9

Die fehlende Trennschärfe ist nach weit verbreiteter Ansicht an der Gewaltfrage zu gewinnen, sodass problematische Formen des Islam anhand der Gewaltbereitschaft zu identifizieren wären. So hat auch Angela Merkel die Trennlinie zwischen Islam und Islamismus da gezogen, „wo unter Berufung auf die Religion Gewalt angewendet wird oder zur Gewaltanwendung aufgerufen wird, um andere zu unterwerfen“10. Vielleicht fällt die Kritik am Begriff „politischer Islam“ deshalb so aus, weil er genau dies kritisch infrage stellt. Politischer Islam – oder legalistischer Islamismus, wir kommen auf die Nomenklatur zu sprechen – nimmt diejenigen islamisch begründeten Haltungen und Handlungen in den Blick, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf politischem, legalem Wege im Sinne des Ideals einer islamischen Gesellschaftsordnung zu beeinflussen, zu verändern oder zu beseitigen geeignet sind. Nach den Jahren der Fokussierung auf den militanten Islamismus (siehe IS) scheint sich die Aufmerksamkeit wieder stärker auf die Übergänge zu richten und auf die Quellen, aus denen sich Radikalisierung und Gewaltbereitschaft mit islamischer Begründung speisen.

Im Folgenden entnehmen wir den erwähnten vier Büchern, wie sie den politischen Islam verstehen und welche Ziele sie verfolgen. Es folgen Beobachtungen zu einigen Aspekten des Politischen in den Anfängen des Islam, was zu einer wenigstens ansatzweisen Reflexion auf „politische Religion“ nötigt. Am Ende wird keine abgesicherte und rundum befriedigende Definition stehen, doch ist zu hoffen, dass der religiöse Begründungszusammenhang des islamistischen Paradigmas besser wahrgenommen und in seiner Bedeutung eingeschätzt werden kann. Wir beschränken uns in den Ausführungen im Wesentlichen auf den Bereich der sunnitischen Orthodoxie.

Der „politische Islam“ in aktuellen Publikationen

Carsten Linnemann (MdB, CDU) und Winfried Bausback (MdL, CSU) definieren gleich zu Beginn: „Die radikalen Ausprägungen, die den westlichen Lebensstil zum Feindbild erheben und unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung zu unterlaufen suchen, bezeichnen wir als ‚politischen Islam‘“ (7)11. Dieser beginne dort, „wo die Scharia über das Grundgesetz gestellt wird“, und ende dort, „wo im Namen Allahs getötet wird“ (228). Damit ist die eben schon angesprochene Verschiebung der Aufmerksamkeit auf das Vorfeld vor der Gewaltanwendung markiert. Nicht erst die Gewalt wird problematisiert, sondern auch die Entwicklung einer schariaorientierten Geistes- und Lebenshaltung, die eines der größten Integrationshemmnisse sei, demokratiefeindlich und perspektivisch militant. In diesem Sinne beteiligen sich 15 renommierte Autorinnen, Experten und Publizistinnen aus unterschiedlichen Disziplinen an dem Projekt, darunter Necla Kelek, Sascha Adamek, Joachim Wagner und Christine Schirrmacher. Ziel ist es, „auch unbequeme Fakten anzusprechen“, um die Debatte zum Islam auf eine neue Basis zu stellen und den liberalen Kräften im Islam Raum zur Entfaltung zu geben (9f). Es soll mithin differenziert werden und nicht verallgemeinert. Bassam Tibi und Marwan Abou Taam behandeln das Thema im engeren Sinne, die anderen Beiträge greifen einzelne Aspekte und aktuelle Themen auf.

Das österreichische Autorenduo Heiko Heinisch und Nina Scholz versteht unter dem politischen Islam eine Bewegung innerhalb des Islam, die in den vergangenen 40 Jahren herangewachsen sei und im Islam ein „ganzheitliches Programm“ sehe, „das den einzelnen Menschen sowie Staat und Gesellschaft von Grund auf bestimmen soll“ (7). Werte der europäischen Aufklärung und die pluralistische Gesellschaft würden innerhalb dieser globalen islamischen Bewegung infrage gestellt und als Angriff auf die eigene Identität betrachtet. Die „Islamisierung des Islam“ (Aziz al-Azmeh) werde von Saudi-Arabien, Qatar, Türkei und Iran vorangetrieben. Die Begriffe „politischer Islam“ und „Islamismus“ werden weitgehend synonym verwendet. Mit ihnen werde ein breites Spektrum von dschihadistischen Organisationen bis zum Bereich des legalistischen Islamismus umfasst. Nina Scholz betont, dass die Begriffe in der Forschung „gerade nicht pauschalisierend allen Musliminnen und Muslimen übergestülpt“ werden. Vielmehr diene die Unterscheidung dazu, fundamentalistische ideologische Strömungen von der durch das Recht auf Religionsfreiheit verbürgten Ausübung der Religion scheiden zu können.12 Die islamistischen Utopien liefen mit ihrer totalitären Ideologie letztlich auf die „Herrschaft Gottes in der ganzen Welt“ hinaus und damit auf eine Gesellschaft, „die sich islamischen – als göttlich imaginierten – Regeln unterwirft“ (8). Der Ideologe der Muslimbruderschaft Yusuf al-Qaradawi drückte schon vor Jahren seine Erwartung aus, „dass der Islam Europa erobern wird, ohne zum Schwert oder zum Kampf greifen zu müssen“, nämlich mittels daÝwa (Einladung, Missionierung) „und Ideologie“ (ebd.).

Die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, hebt ebenfalls hervor, dass es „den Islam“ im Singular nicht gebe und mit „politischem Islam“ bzw. „Islamismus“ eine spezifische Ausprägung dieser Religion bezeichnet sei, „die auf die totalitäre Umgestaltung des Politischen und auf eine Unterwerfung von Gesellschaft, Kultur, Politik und Recht unter islamistische Normen“ ziele (15). Sie rekonstruiert knapp, dass noch vor Jahren meist von „islamischem Fundamentalismus“ die Rede war, treffender sei jedoch der Begriff „Islamismus“, der allerdings „manchmal als Synonym ‚des‘ Islam missverstanden“ werde. Es ist der islamische Totalitarismus als politische Strömung, den Schröter für „äußerst gefährlich“ hält. Sie sieht im politischen Islam einen Gegenentwurf zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten, der sich auch nach innen und vor allem gegenüber Frauen und Mädchen repressiv zeigen könne. Historisch geht sie bis Ahmad Ibn Taimiyya (gest. 1328) zurück, dessen Denken die Hauptideologien des politischen Islam, den saudischen Wahhabismus Ende des 18. Jahrhunderts und den Salafismus hundert Jahre später, maßgeblich beeinflusste (16ff).

Bei Ruud Koopmans kommt der Begriff „politischer Islam“ nicht im Titel vor. Das Buch widmet sich jedoch diesem Thema, indem es untersucht, ob und inwieweit religiöse Faktoren dazu beitragen können, „den Mangel an Demokratie und Wohlstand sowie das Übermaß an Gewalt in der islamischen Welt zu erklären“ (10). Der Soziologe und Migrationsforscher kommt zu dem Schluss, dass viele der Hindernisse für eine erfolgreiche Integration muslimischer Migranten mit der Religion zusammenhängen. Und zwar mit der fundamentalistischen Interpretation des Islam, die – diese Unterscheidung ist auch hier leitend – nicht die einzig mögliche ist, seit dem Aufstieg des islamischen Fundamentalismus in den letzten 40 Jahren jedoch zur dominierenden wurde. Die Ursachen für das schlechtere Abschneiden von Migranten aus islamischen Ländern in Sachen Integration sind, so Koopmans, die gleichen wie für die Krise in der islamischen Welt nach dem Scheitern autoritärer Zwangsmodernisierungsversuche. Drei „Schlüsselprobleme“ werden genannt: die fehlende Trennung von Religion und Staat, die Benachteiligung der Frauen und die Geringschätzung von säkularem Wissen. Alle drei sind eng mit Religion und Kultur verwoben, das grundlegendste Problem sei die Vermischung von Religion und Politik. Koopmans behandelt die Begriffe islamischer Fundamentalismus, politischer Islam und Islamismus gleichbedeutend (97).

Zwischenbilanz

Die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus ist sinnvoll und notwendig, um pauschale Zuschreibungen zu vermeiden. Die Differenzierung zwischen islamischen Positionen, die das geschichtlich vorhandene Reformpotenzial des Islam ausloten (historische Kritik, moderne Hermeneutik), und politischen Strategien zur Etablierung schariarechtlicher Strukturen muss möglich sein.

Islamismus wird in der Regel mit „politischem Islam“ gleichgesetzt. Die Nuance beim Gebrauch scheint die zu sein, dass beim Islamismus stärker das militante Element mitgedacht wird, während der politische Islam eher an die „weichen“ Ausdrucksformen im Rahmen des politischen Systems denken lässt (s. o.). Da jedoch das Politische nicht auf den Islam und vor allem nicht auf die hier vorliegende spezifische Konnotation begrenzt ist (s. u.), bietet sich als zwar sperriger, aber treffendster Ausdruck „legalistischer Islamismus“ an. „Islamischer Fundamentalismus“ ist ein Oberbegriff, der auch Formen einschließt, die unpolitisch sind und teilweise jede politische Einmischung explizit ablehnen.

Die hier zugrunde gelegte Arbeitsdefinition von Islamismus lautet: Islamismus ist „Fundamentalismus in politischer Aktion“ mit dem Ziel der Transformation – sei es mit legalen und friedlichen oder militanten, dschihadistischen Mitteln – der gesellschaftlichen Verhältnisse bis hin zur Errichtung eines islamischen Staates. Islamismus ist eine Spielart des politischen Extremismus und heute die größte ideologische Kraft in der islamischen Welt.

Die wiederkehrenden Themen der Kritik am politischen Islam bzw. legalistischen Islamismus sind heterogen, u. a.: Kopftuch, Geschlechtertrennung, Diskriminierung von Frauen, Finanzströme, Parallelgesellschaften (-justiz), islamistische Organisationen und Parteien, Demokratiefeindlichkeit, Radikalisierung, Dschihad, Antisemitismus, Integrationsbilanz, individuelle Menschenrechte, Minderheitenrechte, Opferdiskurse (Islamophobie), Speisegebote (halal-Fleisch). Es bleiben Fragen offen: Inwiefern kann der „Gemischtwarenladen“ der Themen auf einen Begriff gebracht werden? Wird hier eine Gruppe unter einem Merkmal zusammengefasst (Islam), das den Problemkonstellationen keinesfalls gerecht wird und daher stigmatisierend wirkt? Und historisch: In der Regel wird die Entstehung des Islamismus mit der Gründung der Muslimbruderschaft angesetzt. Wie sieht es mit den religiösen Wurzeln aus?

Im nächsten Abschnitt gehen wir vor allem phänomenologisch vor, weshalb – aus Platzgründen – u. a. soziologische, empirische, aber auch historische Fragestellungen nicht zum Zug kommen.

Aspekte des Politischen in den Anfängen des Islam

  1. Wie kann, wie soll das menschliche Miteinander gestaltet werden? Woher wissen wir, was für eine Gesellschaft zuträglich ist und was nicht? Es besteht Einigkeit, dass der Islam schon in frühester Zeit politisch wurde. Das erforderte das Leben der wachsenden muslimischen Umma in Medina. Die „Verleiblichung“ des Islam in einem Gemeinwesen zog zudem vermehrt Angriffe gegen die – tatsächlichen oder als solche wahrgenommenen– Feinde des Islam nach sich.13 Die mit der Entscheidung für die Gebetsrichtung nach Mekka verbundene Abwendung von Jerusalem (Sure 2,142-145) und die „Islamisierung“ der Prophetologie, insbesondere Abrahams, spielen im Prozess der religiös-politischen Identitätsfindung eine tragende Rolle.14 Sure2, die erste Offenbarung in Medina, wartet im Jahr 624 mit einer Fülle von kultischen und rechtlichen Weisungen für die junge Gemeinde auf. Sie gehen mit einer immer schärferen Scheidung der Gläubigen von den Ungläubigen einher. Nach Sure 2,143 (die Mitte des 286 Verse umfassenden Kapitels) sind die Muslime die „Gemeinschaft der Mitte“, nach Sure 3,110 die „beste Gemeinschaft, die für die Menschen hervorgebracht worden ist“, die das Rechte gebietet und das Verwerfliche verbietet.
  2. Das wahre Wissen um das „Rechte“ und das „Verwerfliche“ ist im Ganzen bei Gott „verborgen“ (Sure 2,3) und in den menschlich erreichbaren und für die Gestaltung des Diesseits notwendigen Teilen geoffenbart („herabgesandt“). Übermittler ist der Prophet Muhammad, der als „schönes Vorbild“ (Sure 33,21) durch seinen Handel und Wandel zugleich die Gewähr für die Wahrheit und die rechte Anwendung der göttlichen Weisung bietet. Daher ist die Sunna des Propheten dann so wichtig, die im Lauf der Zeit für die Auslegung des Korans als unabdingbar erachtet wurde (Sure 5,92; 4,80; 3,31). Die Hadith-Literatur enthält eine Fülle an politischen Entscheidungen und Weisungen. Muhammad ist freilich nicht der erste Prophet (sondern „Siegel der Propheten“), vielmehr aktualisiert er gewissermaßen das umfassende Wissen, das schon Adam und von diesem an alle Propheten von Gott übergeben wurde. „Er (Gott) lehrte Adam die Namen alle“ (Sure 2,31) bezieht sich nach den maßgeblichen Auslegungen auf alle wissbaren Dinge– eine Schlüsselstelle für das islamische Verständnis des Menschen als Stellvertreter bzw. Sachwalter Gottes auf Erden (khalifa, Sure 2,30).15 Deshalb sind Wissen und Wissensvermittlung ein hohes Gut, Wissen soll auch immer vervollkommnet werden. Doch kein menschliches Wissen kann das, was Gott Adam gelehrt hat, erweitern oder übersteigen. Ja, Vervollkommnung des Wissens kann letztlich nur im Gewinnen und Festhalten dessen erreicht werden, was unabhängig von menschlichem Urteilen von Gott mitgeteilt worden ist. Wer seinen Verstand (arab. Ýaql, von der sprachlichen Wurzel her ein „Festhalten, Fesseln“) recht gebraucht, wird das Gottgegebene erkennen und bewahren. Die Kinder Adams, also alle Menschen, haben sich von allem Anfang an auf das Bekenntnis zur Herrschaft Gottes verpflichtet („Urvertrag“, Sure 7,172); dies ist ihre schöpfungsgemäße, „natürliche Anlage“ (arab. fitra, Sure 30,30). Von daher erklärt sich, dass islamische Gelehrte die Rationalität des Islam betonen – gegenüber der Irrationalität und Unreife anderer Religionen– und das Anliegen verfolgen, die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften als mit den islamischen Quellen kompatibel, ja als Ausfluss des von Muhammad vermittelten Wissensbestandes zu interpretieren.
  3. Insofern sich dieses Wissen selbstverständlich auch auf alles beziehen muss, was in Bezug auf Politik, Gesellschaft, Ökonomie je erkannt und gewusst werden kann, geht es auch auf diesen und allen anderen Feldern darum, auf die Erkenntnis und die Verwirklichung jenes unveränderlichen Wissens hinzuwirken, das in den Normen der Scharia konkrete Gestalt gewonnen hat.16 Das historisch überlieferte Beispiel für die Verwirklichung einer so legitimierten, gerechten Gesellschaft sind die Verhältnisse in Medina als ein (mehr oder weniger fiktives) Ideal, von dem auch heute noch ein gesellschaftsgestaltender Anspruch abgeleitet wird („Medina-Modell“). Eine bestimmte Staats- oder Gesellschaftsform ist indessen weder im Koran noch in der Sunna vorgeschrieben. Allerdings finden sich Vorgaben, die in der Zusammenschau ein politisches Paradigma formen, das in der Unterscheidung (und Scheidung) von Gläubigen und Ungläubigen sein Gravitationszentrum hat: Juden und Christen werden als sog. Dhimmis („Schutzbefohlene“) mit minderen Rechten geduldet, Andersgläubige bleiben ohne Rechte. Die grundlegenden Bestimmungen dazu sind zum einen in der sogenannten „Gemeindeordnung von Medina“,17 zum anderen in den „Bedingungen Umars“ (ash-shurūt al-Ýumariyya, Umar-Vertrag) enthalten.18 Die Aussage des Propheten „Auf der Halbinsel der Araber soll es keine zwei Religionen geben“ gilt der Überlieferung als Muhammads „Testament“ (Ýahd).19 Als eine letzte Zusammenfassung der vom Propheten erlassenen, für alle Zeiten gültigen Regeln wird Muhammads Ansprache während seiner „Abschiedswallfahrt“ angesehen (khutbat al-wadÁÝ). Als weitere wichtige Bezugspunkte in der späteren Geschichte gelten die Schriften Ibn Taimiyyas (gest. 1328), Muhammad Ibn Abd al-Wahhabs im 18.Jahrhundert und des Salafismus am Ende des 19. Jahrhunderts, der sich dann über die Muslimbruderschaft und Sayyid Qutb zum Dschihadismus radikalisierte.
  4. Dieser Blick aufs Grundsätzliche ist in zwei Hinsichten sinnvoll und notwendig, die sich wie zwei Seiten einer Medaille verhalten: Es wird einerseits die Plausibilität der nicht nur von Radikalen geforderten Hinwendung zu Koran und Sunna bzw. den ersten Generationen der Muslime (salaf) ersichtlich. „Neuerungen“ (bidaÝ) sind nicht nur haltlos und irreführend, sondern tasten letztlich die von Gott vorgesehene Ordnung an. Andererseits lässt sich daraus ableiten, dass menschliches Streben nach Ausgleich, politisches Agieren im Sinne von vernunftbasierter Abwägung und Aushandeln von Kompromissen, überhaupt demokratisches Denken und Handeln im Sinne eines Interessenausgleichs gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger allenfalls vorläufige, jedoch nicht grundsätzliche Geltung beanspruchen kann.
  5. Wir halten fest: Die Aufgabe der islamischen Umma ist es, das Rechte zu gebieten und das Verwerfliche zu verbieten. Die entsprechenden (Scharia-)Normen werden aus Koran und Sunna abgeleitet und beziehen sich auf alle Bereiche des Lebens. Das Politische ist daher in die DNA des – zumindest sunnitisch-orthodoxen– Islam eingeschrieben. Es orientiert sich stark an der Scheidelinie zwischen Glauben und Unglauben (bzw. Undankbarkeit gegenüber dem Schöpfer, kufr) und dient in erster Linie dem muslimischen (kollektiven) Gemeinwohl. Das Politische im Sinne von ergebnisoffenen Aushandlungsprozessen mündiger Bürgerinnen und Bürger, das stark vom Individuum her denkt und sich daher zwangsläufig mit Pluralität, Selbstrelativierung und der Einsicht in die notwendige Vorläufigkeit menschlicher Entscheidungen auseinanderzusetzen hat, gerät demgegenüber schnell in den Verdacht menschlicher Selbstermächtigung gegenüber der Souveränität Gottes.
  6. Ein solcher Blick auf den Zusammenhang von Religion und Politik im – sunnitisch-orthodoxen– Islam ist hochgradig ungeschichtlich und normativ. Er kann nur deshalb als angemessen betrachtet werden, weil der islamische Anspruch auf die Gesellschaftsgestaltung auf vielfache Weise genau so formuliert wird. Denn darum geht es, dass die aus Koran und Sunna erhobenen Normen zu aller Zeit und in jeder Situation praktische Geltung haben (sollen), da der Islam die Lösung für die Probleme in allen Lebensbereichen sei. Es ist eben „der“ Islam in seiner Universalität, „der alle Epochen und Orte zugleich erleuchtet“. „Der Islam ist eine Religion des Friedens, [die] überall auf der ganzen Welt dieselben universalen Werte verteidigt.“20 Die notwendige Voraussetzung für ein solches Denken ist, dass das Vorbild Muhammads der Geschichte enthoben ist. Wer hier „Essenzialismus“ ruft, muss diesen Sachverhalt wie auch die vielfältigen Belege muslimischer Autoritäten für den skizzierten Ganzheitlichkeitsanspruch auf andere Weise erklären.21
  7. Klar ist aber auch: Diese kurze und stark verkürzte Darlegung nimmt eine Perspektive ein, die nicht von allen Muslimen geteilt wird oder geteilt werden muss. Sie war in der Geschichte des Islam auch nicht immer beherrschend. Sie ist das Ergebnis eines langen geschichtlichen Prozesses,22 in dem eine (kurze) Zeit lang die auf Vernunftargumente setzenden Mu‘taziliten den Ton angaben– und über lange Strecken ein Pragmatismus herrschte, der den grundsätzlichen Anspruch relativierte. Gleichwohl gehört zu einer realistischen Einschätzung der Lage die Einsicht, dass diese Perspektive bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen im Einzelnen heute zum weltweit dominanten Islamverständnis in der islamischen Welt gehört. Sie ist kein „Missbrauch der Religion“, sondern kann sich unmittelbar auf die Urkunden des Islam berufen und bildet die Grundlage für den „politischen Islam“.

Politische Religion?

Selbstverständlich ist nicht nur der Islam, sondern sind alle Religionen bzw. die Angehörigen der Religionen auf die eine oder andere Weise politisch. „Wer fromm ist, muss politisch sein“ ist das vielleicht bekannteste Zitat, das dem im April vor 75 Jahren ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer zugeschrieben wird. „Politische Theologie“ stand lange Zeit für eine politisch wache, institutionenkritische und emanzipatorische Theologie, verbunden mit Namen wie Dorothee Sölle, Johann B. Metz oder Jürgen Moltmann. Dem nahe steht der Begriff „Öffentliche Theologie“, die unter anderem mit Berufung auf Bonhoeffer das Wirken und die Wirkungen des Christentums in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit kritisch reflektiert und dialogisch an ihr teilnimmt.23 Auch in der individuellen Erfahrung kann die eigene religiöse Praxis als politisch erlebt werden oder die gesellschaftliche Partizipation dezidiert religiös motiviert und eingefasst sein. Selbstverständlich gibt es ein politisches Christentum.

Richtig ist jedoch auch, dass schon diese knappen Hinweise sehr unterschiedliche Begriffe des Politischen gebrauchen, dies aber durchgehend in einem Bedeutungsspektrum, das das Individuum mit seiner Verantwortung in den Mittelpunkt stellt. Theologisch gesprochen kann die Gottebenbildlichkeit des Menschen (imago Dei) ins Feld geführt werden, um das Schöpferische und nach vorne Offene des menschlichen Denkens und Strebens gerade auch im Politischen (im weitesten Sinne) zu bezeichnen.24 Wenn wir Aufklärung als die Selbstverständigung des Menschen über die Freiheit des (kritischen) Denkens, die Anerkennung der Vorläufigkeit menschlicher Entscheidungen und damit verbunden den Verzicht auf Absolutheit fassen, so kann das Politische auch im aufgeklärten Denken in der Verantwortung des Glaubens als Vertrauen auf Gottes Gegenwart ergriffen werden (ohne dass die Politik „religiös“ bestimmt wird). Es unterscheidet sich dann aber fundamental von einem Begriff des Politischen, der den Bereich des diesseitigen Handelns für eine gerechte Gesellschaft auf die konkreten Handlungsanweisungen aus dem Wissensbestand ewiggültiger religiöser Normen angewiesen sieht. Im Islam ist dieser Bereich gleichsam mitumfasst vom Wirken Gottes, von der „Moral“, die menschlicher Entscheidung letztlich entzogen ist. Wenn zum Beispiel der frühere Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Cerić, der in dieser Hinsicht sehr deutlich ist, vom Islam als einer „ganzheitlichen Lebensweise“ oder „Weltanschauung“ spricht, ist dieses Umfassende gemeint.25 So werden schließlich politische Begriffe bei gleichen Bezeichnungen sehr unterschiedlich gefüllt. Dann sind Menschenrechte etwa diejenigen Rechte, die Gott den Menschen verleiht und die für Männer und Frauen, für Gläubige und Ungläubige durchaus unterschiedlich sind.26 Oder Friede ist dann der Zustand in einer gerechten Gesellschaft, die auf den göttlichen Normen aufbaut. Religionsfreiheit bedeutet in erster Linie die Freiheit zur „Religion bei Gott“, dem Islam (Sure 3,19; vgl. 3,85), da die Möglichkeit zur Abwendung vom Islam innerhalb des normativen Rahmens nicht vorgesehen ist. Ein Gesellschaftsvertrag ist dann nicht auf freie Bürgerinnen und Bürger bezogen, sondern auf Kollektive, er soll den Muslimen die Anwendbarkeit ihrer religiösen Rechte und Pflichten gemäß der Scharia im nichtmuslimischen Kontext gewährleisten. Demgegenüber können (bloß) menschengemachte Normen, und seien sie gleich bezeichnet, nur als defizitär betrachtet werden.

Anstelle eines Fazits

Der Umgang mit dem politischen Islam bzw. dem legalistischen Islamismus ist eine Gratwanderung zwischen „Wertschätzung und Kritik“27. Die Trennung von Religion und Staat gehört zu den zentralen und auch besonders leidvoll erkämpften Errungenschaften der europäischen Geschichte. Der Staat hält sich in Wahrheitsfragen und letzten Fragen der Religionen und Weltanschauungen zurück. Doch er drängt die Religion auch nicht ins Private. Wir haben keinen Laizismus. Der Staat duldet Religionsgemeinschaften nicht nur, er unterstützt sie bei ihrer Entfaltung, da er das ideelle Potenzial und die Werte nicht selber schaffen kann, auf denen die Gesellschaft aufbaut. Politische Religion in diesem Sinne ist nicht nur kein Problem, sondern wünschenswert – und vor allem Alltag. Das gesellschaftliche Engagement mit religiöser Begründung ist in Deutschland Teil der demokratischen Kultur und geradezu notwendig. Dies gilt selbstverständlich auch für Musliminnen und Muslime. Ein politischer Islam ist daher keineswegs per se ein Problem. Es besteht trotz der Trennung grundsätzlich eine enge Beziehung zwischen Religion und Politik. Christinnen und Christen sehen zudem nicht nur „den Islam“ oder „die Muslime“, sondern den einzelnen Menschen, die Nachbarin, den Arbeitskollegen, die Freundin. Weniger als ein halbes Prozent der Muslime wird von den Behörden als extremistisch eingestuft.

Die Sorge bezieht sich nicht auf politisches Engagement in der demokratischen Gesellschaft, sondern auf die Aushöhlung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Übergänge zur Gewalt auf der Grundlage eines Ungleichheitsdenkens, die wir nicht nur, aber auch bei Muslimen sehen. Ob die zunehmende Gewaltbereitschaft, die sich auf den Islam beruft, im Kern tatsächlich islamisch begründet ist oder ob gerade religiöse Entwurzelung und mangelnde religiöse Bildung für die eskalierende Gewalt verantwortlich sind, ist in der Forschung umstritten. Der Politologe Gilles Kepel spricht von einer „Radikalisierung des Islam“ und warnt davor, die religiösen Aspekte der Gewalt zu unterschätzen, während die Argumente von Olivier Roy auf die Formel „Islamisierung der Radikalität“ gebracht werden können. Die Attentäter seien meist Jugendliche oder junge Erwachsene ohne fundierten Bezug zur Religion; die Gründe für die Gewalt lägen nicht in der Religion, sondern vielmehr in der Entfremdung der Muslime von islamischen Traditionen. Die prominente Debatte kann hier nicht entschieden werden, die Meinungen stehen sich gegenüber.28

Doch ganz gleich, ob man zu „Kepel“ oder zu „Roy“ tendiert – die Phänomenologie der ursprünglichen Anlage des Politischen im Islam muss in alle Erwägungen mit einfließen. Denn die Saat, die zur Gewalt führen kann, ist fraglos von Anfang an gelegt. Der bei uns häufig vorausgesetzte Religionsbegriff, der Religion als ein Wertesystem, als Instrumentarium zur Bildung ethischer Urteile, als ein Moment innerer Bildung oder Instanz zur Reifung des Humanen versteht, ist nicht allgemein übertragbar.

Die allermeisten Musliminnen und Muslime leben friedlich und ohne Gesetzeskonflikte in unserer Mitte. Doch eine islamische Instanz, die verhindern kann, dass sich Einzelne die Durchsetzung des dem Anspruch nach „von Gott gesetzten Rechtes“ anmaßen, gibt es nicht. Wer sich konsequent der Lehre verschreibt, das Vorbild des Propheten Muhammad und die Weisungen des Korans seien unmittelbar verpflichtend, hat gegen Gewaltgebrauch keine wirksame Handhabe.29

Daher ist es notwendig, den durchaus vorhandenen liberalen Stimmen, dem Reformislam eine Chance zu geben und zusammen mit allen Muslimen, die den Ganzheitlichkeitsanspruch der Scharianormen hier und heute kritisch hinterfragen, dem manichäischen Denken der islamistischen Ungleichheitsideologie zu wehren. Nur so wird es gelingen, die Debatte nicht weiter nach „rechts“ abgleiten zu lassen.

Praktisch bedeutet dies: nachfragen, klären, Begriffshülsen vermeiden oder aufbrechen, für Säkularität (nicht Säkularismus!) als notwendige Voraussetzung für Religionsfreiheit werben. So kann das Gemeinsame im Politischen auf der Basis der gleichen Würde aller (imago Dei) gesucht und gepflegt werden, um die Religionsfreiheit stark zu machen, gerade auch für die Minderheiten in unserem Land.

Literatur

  • Carsten Linnemann / Winfried Bausback (Hg.), Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Wie wir unsere freie Gesellschaft verteidigen, Freiburg i. Br. u. a. 2019.
  • Heiko Heinisch / Nina Scholz, Alles für Allah. Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert, Wien 2019.
  • Susanne Schröter, Politischer Islam. Stresstest für Deutschland, Gütersloh 2019.
  • Ruud Koopmans, Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt, München 2020. 

Erstveröffentlichung im Materialdienst der EZW 4/2020, S. 251–264 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)


  1. Siehe Literatur am Ende des Artikels. 

  2. Focus Online vom 11.12.2018 (www.focus.de/politik/deutschland/zentralrat-im-blick-der-islamisten-verfassungsschuetzer-muslimbrueder-wollen-deutschland-in-islamischen-gottesstaat-verwandeln_id_10048434.html); Abruf der in diesem Artikel erwähnten Internetseiten: 3.7.2020. 

  3. Vgl. Friedmann Eißler, Erklärung europäischer Muslime in Köln, in: MdEZW 2/2019, 65f. 

  4. Es ist vermutlich kein Zufall, dass der „inoffizielle Chefideologe“ der Muslimbruderschaft, Yusuf al-Qaradawi, und der palästinensische Hamasführer Khaled Mashal das Emirat zum Wohnort erkoren haben. Vgl. Friedmann Eißler, „Qatar Papers“: Muslimbruderschaftsunterstützung in Europa, in: MdEZW 7/2019, 266–268. 

  5. Vgl. etwa den Kommentar von Nina Scholz im Standard, 8.1.2020 (www.derstandard.at/story/2000113025055/tuerkis-gruen-aufklaerung-mit-vorbildfunktion). 

  6. S. zur Bedeutung dieses Schritts MdEZW 1/2020, 50–52. 

  7. In einem polemischen Kommentar zu dem Buch von Linnemann und Bausback, 23.6.2019 (www.islamiq.de/2019/06/23/politische-islam-ein-kampfbegriff). 

  8. Zit. nach Scholz, Kommentar (s. Fußnote 5). 

  9. „Hier wird ein Monster kreiert“, Zeit Online, 4.11.2016 (www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/politischer-islam-csu-parteitag-leitantrag). 

  10. Im FAZ-Interview nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015 (www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/-wir-wissen-zu-wenig-ueber-den-islam–419146). 

  11. In diesem und den folgenden Abschnitten beziehen sich die Seitenzahlen in Klammern auf das jeweils in dem Abschnitt behandelte Buch. 

  12. Vgl. Scholz, Kommentar (s. Fußnote 5). 

  13. Die Abrogation (Aufhebung) früherer Offenbarungen eingeschlossen, die in der mehr von der Defensive geprägten Situation in Mekka herabgesandt wurden und daher moderater waren (Sure 2,106 u. ö.). 

  14. Vgl. Hanna N. Josua, Ibrahim, der Gottesfreund. Idee und Problem einer Abrahamischen Ökumene, HUTh Bd. 69, Tübingen 2016. 

  15. Charakteristisch anders Gen 2,18-20, wo Adam sozusagen partnerschaftlich am Schöpfungswerk beteiligt wird, indem Gott das eigenständige Handeln und die freie Entscheidung des Menschen ermöglicht und respektiert. 

  16. Davon zu unterscheiden ist das die Scharia-Prinzipien anwendende islamische Recht, fiqh, das durch seine Kontextgebundenheit nicht ewig und unveränderlich ist, sondern verhandelbar bleibt. 

  17. Arab. sahifa, s. dazu Tilman Nagel, Die „Verfassung“ von Medina, in: MdEZW 4/2016, 141–145. 

  18. In über 30 Versionen überliefert. Siehe Mark R. Cohen, What was the Pact of ÝUmar? A Literary-Historical Study, in: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 23/1999, 100–157. 

  19. Zit. nach Josua, Ibrahim (s. Fußnote 14), 466. 

  20. S. die Erklärung europäischer Muslime von 2019, zit. in Eißler, Erklärung europäischer Muslime (s. Anm. 3), 66. 

  21. Was an Historischem innerhalb dieses Paradigmas in der Koranauslegung angeführt wird, ist in der Regel selbst Teil der Traditionsliteratur und daher nicht geeignet, den „garstigen Graben“ der Geschichte (Lessing) zu reflektieren. 

  22. Vgl. dazu nur Tilman Nagel, Zwanzig Kapitel über den Propheten der Muslime, München 2010. 

  23. So auch Heinrich Bedford-Strohm in der Debatte um die Öffentliche Theologie in „Zeitzeichen“ im Jahr 2016: „Fromm und politisch – Warum die evangelische Kirche die Öffentliche Theologie braucht“. 

  24. Vgl. die partnerschaftliche Beteiligung am Schöpfungswerk in eigenständigem Handeln und freier Entscheidung des Menschen (s. Fußnote 15). 

  25. Vgl. die Beiträge von und über Mustafa Cerić in: Friedmann Eißler / Michael Borchard (Hg.), Islam in Europa. Zum Verhältnis von Religion und Verfassung, EZW-Texte 227, Berlin 22019. 

  26. Deshalb musste der allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 eine islamische Erklärung der Menschenrechte gegenübergestellt werden (Kairo 1990), die alle Paragraphen unter den Schariavorbehalt stellt. 

  27. So der Titel meiner grundsätzlichen Erwägungen zur Aufgabe des christlich-islamischen Dialogs in: MdEZW 10/2018, 365–377. 

  28. Zieht man die unterschiedlichen Methoden der Forscher in Betracht, müssen die Ergebnisse nicht als einander widersprechend wahrgenommen werden. 

  29. Selbstverständlich kann im selektiven Verfahren eine Haltung des Friedens, der Toleranz und der Nächstenliebe auch aus Koran und Sunna gewonnen werden. Dies prägt viele Musliminnen und Muslime im individuellen Kontext. Das Problem ist, dass dasselbe selektive Verfahren – gleichsam ex negativo – Verhaltensweisen des modernen Dschihadismus ebenso legitimieren kann.