Einflussreicher saudischer Rechtsgelehrter sieht Tötung von Apostaten nicht im Widerspruch zur Glaubensfreiheit

Institut für Islamfragen

Rechtsgutachter: Scheich Sālih ibn Fauzān ibn ʿAbdullah al-Fauzān (geb. 1933), Mitglied des Vorstands der muslimischen Gelehrten Saudi-Arabiens und des Ständigen Komitees für Rechtsfragen in Saudi-Arabien. Er gilt als führender Vertreter des Wahhabismus.

(Institut für Islamfragen, dh, 31.10.2018)

Frage:

„Wie authentisch ist die Aussage (des islamischen Propheten Muhammads): ‚Tötet denjenigen, der seine Religion [den Islam] wechselt!‘? Und wie versteht man diese Aussage? Wie können wir diese Aussage mit den Koranversen vereinbaren: ‚Es gibt keinen Zwang im Glauben.‘ (Sure 2,256) und ‚Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf der Erde sind, geglaubt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, Gläubige zu werden?‘ (Sure 10,99)? Wie können wir diese Verse mit der Aussage [Muhammads] vereinbaren: ‚Mir wurde [von Allah] befohlen, gegen die Menschen zu kämpfen, bis diese bezeugen, dass es keinen Gott außer Allah gibt, und dass Muhammad Allahs Prophet ist. Wenn die Menschen dies tun [praktisch zum Islam übertreten], werden ihr Blut und ihre Vermögen für mich unantastbar [d.h. Muhammad darf diese Menschen dann weder töten noch ihr Eigentum an sich reißen], außer wenn es zu Verstößen [gegen das islamische Gesetz] kommt [dann werden diese Verstöße bestraft]‘.

Ist nun die Annahme einer Religion eine freiwillige oder eine erzwungene Entscheidung?“

Antwort:

„Erstens: Die Aussage [Muhammads]: ‚Tötet denjenigen, der seine Religion [den Islam] wechselt!‘ ist eine authentische Aussage [arab. Hadith Sahīh], die in Sahīh al-Bukhārī und anderen Quellen der sunnitischen Muslime überliefert wurde. Es besteht kein Widerspruch zwischen dieser Aussage und den anderen [oben genannten] Zitaten [aus dem Koran], die Sie erwähnt haben, Allah sei Dank.

Denn die Aussage [Muhammads]: ‚Tötet denjenigen, der seine Religion wechselt‘ wurde in Sahīh al-Bukhārī überliefert von Ibn ʿAbbās, Allah möge ihn begnadigen. Hier handelt es sich um einen Abgefallenen vom Islam, nachdem er Muslim geworden ist. Er soll getötet werden, nachdem ihm eine Zeit der Besinnung eingeräumt worden ist. Falls er in dieser Zeit seine Tat bereut [zum Islam zurückkehrt], wird er nicht getötet. Falls er dies aber nicht tut [auf seinem Abfall vom Islam beharrt], wird er getötet. 

Da entsteht kein Widerspruch (zwischen der o.g. Aussage Muhammads) und den Koranversen: ‚Es gibt keinen Zwang im Glauben.‘ (Sure 3,256) und ‚Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf der Erde sind, geglaubt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, Gläubige zu werden?‘ (Sure 10,99). Denn kein Mensch wird gezwungen, den Islam anzunehmen, weil es dabei um eine Überzeugung im Herzen geht. Wir können die Herzen nicht lenken und sie gläubig machen. Dies kann nur Allah allein tun. Er ist der Lenker der Herzen. Er leitet recht, wen er möchte, und leitet in die Irre, wen er möchte. 

… Der vom Islam Abgefallene wird getötet, weil er ungläubig geworden ist, nachdem er gläubig gewesen ist. Er hat die Wahrheit verlassen, nachdem er sie gekannt hat. Er gilt nun als ein faules Glied, das amputiert werden muss, um die Gesellschaft vor ihm zu schützen. Er besitzt einen faulen Glauben, mit dem er andere in der Gesellschaft anstecken kann. … Er verdient es nicht, weiter zu leben.“

Quelle: https://www.alfawzan.af.org.sa/ar/node/8281

Kommentar (cp): Es sind solche Auslegungen einflussreicher – in diesem Fall vom saudischen Staat finanzierter und kontrollierter – Rechtgelehrter, die den Nährboden für Hass und Gewalt gegen Andersgläubige schaffen und eine freie, sachliche und friedliche Auseinandersetzung mit nichtislamischen Wahrheitsansprüchen im Keim ersticken. Sie stehen im krassen Widerspruch zu Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln , sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“ Dagegen verstoßen auch jene nur scheinbar gemäßigten Gelehrten, die dem Betreffenden lediglich eine innere Distanzierung zugestehen, aber jede äußerlich erkennbare Hinwendung zu einem anderen Glauben als Akt des Verrats oder der politischen Rebellion kriminalisieren. Zugleich gilt es, reformorientierte Stimmen wie Abdullah Saeed oder in Deutschland Mouhanad Khorchide wahrzunehmen, die sich mit Blick auf Sure 2,256 ausdrücklich für eine volle Glaubensfreiheit aussprechen und überlieferte Aussprüche und Handlungen Muhammads und der frühen Muslime, die dem wiedersprechen, als Produkte der soziopolitischen Rahmenbedingungen auf der Arabischen Halbinsel des 7. Jahrhunderts deuten.

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