Friedfertigkeit und Toleranz im Islam – „In der Religion gibt es keinen Zwang“ (Sure 2,256)

Dr. Eckhard Piegsa

Einleitung

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat das Phänomen religiös motivierter Gewalttaten von Muslimen die Welt zunehmend beschäftigt. Vorläufiger Höhepunkt waren die – für westlich geprägte Menschen – unfassbaren Anschläge des 11. September 2001. Im Gefolge dieser Attentate wurde weltweit viel Mühe darauf verwendet, herauszustellen, dass derartige Gewalt eine Fehlentwicklung islamischen Glaubens und Denkens darstelle, während der Islam seinem Wesen nach friedliebend und tolerant sei. Den meisten derartigen Beteuerungen – sowohl von westlichen Kommentatoren, als auch innerhalb der islamischen Welt – war gemeinsam, dass sie wenig Bezug nahmen auf eine eingehendere Betrachtung des Koran als der wesentlichen Grundlage islamischen Glaubens.

Beim Abwägen der Frage, ob Gewaltbereitschaft im Islam selbst angelegt ist oder aber einen Irrweg verblendeter Extremisten darstellt, ist es von Bedeutung, solche Aspekte zu beleuchten, die für das islamische (Selbst-)Bewusstsein prägend sind. Diese betreffen vor allem das islamische Selbstverständnis gegenüber Nicht-Muslimen, insbesondere Juden und Christen, sowie die Frage der Legitimität des Tötens und des so genannten „Heiligen Krieges“. Dabei kommt dem Koran eine entscheidende Rolle zu, da er von Muslimen nicht nur als inspiriertes, sondern gewissermaßen als diktiertes Gotteswort verstanden wird. Als solches wird er in Schule und Koranschule gelehrt und auswendig gelernt, im Ramadan mindestens einmal komplett gelesen, alltäglich von den Moscheen über Lautsprecher rezitiert und somit fest im Bewusstsein verankert. Darüber hinaus sollte man einen Blick auf Leben und Praxis Muhammads und die frühe islamische Geschichte werfen, welche in Zweifelsfragen ebenfalls als maßgebend und vorbildlich erachtet werden. Es sind diese Eindrücke – und nicht komplizierte und vielschichtige theologische Diskussionen und Erörterungen – die den meisten Muslimen zugänglich sind und sie ihn in ihrem Denken und Handeln bestimmen.

Das islamische Selbstverständnis

Fünfmal täglich erschallt – nicht nur in islamischen Staaten – der Gebetsruf mit dem Glaubensbekenntnis:

„La illah ila Allah wa Muhammad rasul Allah – Es gibt keinen Gott außer Allah und Muhammad ist Gottes Gesandter.“

Dies Bekenntnis bestimmt die Lebens- und Gedankenordnung des Muslims von klein auf und prägt dessen Weltbild von der Endgültigkeit und Abgeschlossenheit der Weltordnung durch den Islam. Es ist quasi der Nullpunkt des islamischen Koordinatensystems.

Ursprünglich verstand Muhammad den Koran als arabische Offenbarung:

„Dies sind die Zeichen der deutlichen Schrift. Wir haben sie als einen arabischen Koran hinabgesandt“ (Sure 12.2+3 – Koranverse sind nach der Übersetzung von Rudi Paret. Der Koran. Kohlhammer: Stuttgart, 1979ff. zitiert).

Diese Offenbarung sollte die zuvor gegebenen Offenbarungen der Juden und Christen bestätigen:

„Er hat die Schrift mit der Wahrheit auf dich herabgesandt als Bestätigung dessen, was vor ihr da war. Er hat auch die Thora und das Evangelium herabgesandt, früher, als Rechtleitung für die Menschen“ (3,3–4).

Dieses anfängliche Verständnis von der regional und sprachlich begrenzten Autorität des Korans wich im Laufe der Zeit zunehmend einem globalen Anspruch:

„Sag: Ihr Menschen! Ich bin der Gesandte Gottes an euch alle“ (7,158).

Wahre Rechtleitung findet sich letztlich nur im Islam: „Und wenn Gott einen rechtleiten will, weitet er ihm die Brust für den Islam“ (6,125), der endgültigen und ausschließlichen Religion: „Als (einzig wahre) Religion gilt bei Gott der Islam“ (3.19). So wird Muhammad letztlich als das „Siegel der Propheten“ (33.40) bezeichnet und damit sein Anspruch auf die Überbringung einer abschließenden Offenbarung unterstrichen.

Thora und Evangelium sind nach dieser Auffassung dem Koran untergeordnet, zumal sie von Juden und Christen, den „Leuten des Buches“ oder den Schriftbesitzern, nach Muhammads Ansicht gefälscht wurden:

„Wie könnt ihr verlangen, daß sie euch glauben, wo doch ein Teil von ihnen das Wort Gottes gehört und es daraufhin, nachdem er es verstanden hatte, wissentlich entstellt hat!“ (2,75)

Ihnen wird vorgeworfen, einen Teil der Wahrheit verhüllt und verheimlicht zu haben:

„Ihr Leute der Schrift! Warum verdunkelt ihr die Wahrheit mit Lug und Trug und verheimlicht sie, während ihr (doch um sie) wißt?“ (3,71).

Allerdings sind Götzendiener („Heiden“) auf einer noch tieferen Stufe als die Schriftbesitzer anzusiedeln.

Obwohl der Koran teilweise zwischen den verschiedenen Gruppen differenziert, ist er letztlich in seinem Urteil über diejenigen, welche die Botschaft Muhammads ablehnen, eindeutig:

„Bei den Ungläubigen ist es, wie wenn man Vieh anschreit, das nur Zu- und Anruf hört. Taub, stumm und blind. Und sie haben keinen Verstand“ (2,171). „Sie sind Lügner“ (6.28)

und von Gott so nicht gewollt, denn:

„Wenn Gott gewollt hätte, hätte er sie zur Rechtleitung vereint“ (6,35). So ist es kein Wunder, dass der Fluch Gottes und der Menschen auf ihnen lastet: „Gott hat sie [die Juden] für ihren Unglauben verflucht. Darum sind sie so wenig gläubig. […] Gottes Fluch komme über die Ungläubigen!“ (2,88+89)

Folglich haben sie die Strafe Gottes zu tragen:

„Diejenigen, die ungläubig sind, werde ich im Diesseits und im Jenseits schwer bestrafen“ (3,56). „Sie werden Brennstoff des Höllenfeuers sein“ (3,10),

wobei die Hölle in den schillerndsten Farben ausgemalt wird, deren Lektüre fast den Eindruck einer gewissen Schadenfreude erweckt: Die Verfluchten „bekommen heißes Wasser“ (10,4) oder „Wundflüssigkeit zu trinken“ (14,16).

Gott wird sie „im Feuer schmoren lassen. Sooft ihre Haut gar ist, tauschen wir ihnen eine andere ein, damit sie die Strafe zu spüren bekommen“ (4,56). Sie werden „in Fesseln aneinandergebunden, mit Hemden aus Teer, das Gesicht von Höllenfeuer bedeckt“ (14,49-50). Und „wenn sie um Hilfe rufen, wird ihnen mit Wasser geholfen, das (so heiß) ist wie flüssiges Metall und das Gesicht brät – ein schlimmes Getränk und ein schlechter Ruheplatz!“ (18,29; vgl. auch 22,19–21 u.v.a.m.).

Es stellt sich die Frage, wie man mit derartiger Genugtuung auf das Schicksal seiner Kontrahenten blicken und dennoch die Achtung vor dem Gegenüber als eines gleichwertigen Mitmenschen wahren kann?

So heben sich die Muslime dann auch deutlich von ihren Mitmenschen ab:

„Ihr seid die beste Gemeinschaft, die unter den Menschen entstanden ist“ (3,110).

Ihnen wird darum konsequenterweise das Paradies in ebenso schillernden Farben in Aussicht gestellt und ausgemalt. (4,57 u.v.a.m.). Aus derartigen Aussagen speist sich ein Gefühl der Überlegenheit, welches durch Schule und Koranschule von Kindheit an prägend in das Bewusstsein vieler Muslime gesät wird. Es ist Ausdruck eines solchen Überlegenheitsgefühls, was Bassam Tibi, in Deutschland lebender muslimischer Politikwissenschaftler, in der ZEIT (23/2002) über einen interreligiösen Dialogversuch des Bischofs von Hildesheim schildert:

„Der Imam empfing den Bischof höflich und überreichte ihm ein Exemplar des heiligen Buches der Muslime. Der Bischof nahm den Koran dankend entgegen und wollte dem Imam als Gegengabe die Bibel schenken. Doch der sah ihn entsetzt an und lehnte es ab, das Buch auch nur anzufassen. Diese Begegnung veranschaulicht exemplarisch die grundlegenden weltanschaulichen Differenzen, die ein gegenseitiges Verständnis erschweren. Der Bischof ist von der Haltung des Imams, die er als grobe Unhöflichkeit auffasst, irritiert. Doch der Imam hat nur seinem Glauben entsprechend gehandelt, sich also nach seiner eigenen Wahrnehmung vorbildlich verhalten. Wenn ein Imam einem Bischof den Koran schenkt, dann ist dies für ihn ein Akt des Da‘wa (Aufruf zum Islam), gemäß dem Koranvers: ‚Und sprich … zu den Ungelehrten: Werdet Ihr nun Muslime werden?‘ (Sure Al-Imran, Vers 20). Etwas anderes ist für ihn die Schenkung einer Bibel; das kommt für ihn einem Akt christlicher Missionierung gleich, die er natürlich ablehnt. Der Imam und der Bischof leben in verschiedenen Welten …“

Laut B. Tibi sind Denken und Handeln des Imam „vormodern und vorpluralistisch. Für ihn gilt das Gebot des Koranverses absolut: ‚Die Religion bei Gott ist der Islam‘ (Al-Imran, Vers 19).“

Die Beziehung zu Nicht-Muslimen

Über das Verhalten gegenüber Nicht-Muslimen gibt es im Koran zahlreiche abgestufte Anweisungen, je nachdem, mit wem man es zu tun hat und – aus historischer Sicht beurteilt – in welcher Phase sich die Beziehungen Muhammads zu diesen Menschen befanden. Einerseits findet man den Aufruf zur Geduld und dazu, Gott letztlich die Entscheidung zu überlassen:

„Aber rechnet es ihnen nicht an und seid nachsichtig, bis Gott mit seiner Entscheidung kommt!“ (2,109).

Dies gipfelt in der vielzitierten Aussage:

„In der Religion gibt es keinen Zwang“ (2,256), denn: „Wenn dein Herr wollte, würden die, die auf der Erde sind, alle zusammen gläubig werden. Willst nun du die Menschen zwingen, daß sie glauben? Niemand darf gläubig werden, außer mit der Erlaubnis Gottes“ (10,99+100).

Andererseits aber wird davor gewarnt, sich mit Ungläubigen einzulassen:

„Die Gläubigen sollen sich nicht die Ungläubigen anstatt der Gläubigen zu Freunden nehmen. Wer das tut, hat keine Gemeinschaft mit Gott“ (3,28; vgl. 4,144).

Und obwohl sich der Koran wiederholt positiv über die Schriftbesitzer (v.a. die Christen) äußert (3,113-115; 3,199; 5,82-84), wird dies Gebot explizit auch auf sie ausgeweitet:

„Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht die Juden und die Christen zu Freunden!“ (5,51)

Die zwei „Häuser“ und der Dschihad

Für Muslime zerfällt die Welt klassischerweise in zwei Bereiche: Im „Dar al-Islam“ (Haus des Islam) gilt die islamische Gesetzgebung; das „Dar al-Harb“ (Haus des Krieges) wird dagegen als dem Islam gegenüber feindlich eingestellt betrachtet. Zwischen beiden gibt es einen Übergangsbereich, das „Dar as-Salam“ (Haus des Friedens), mit welchem die Muslime in Folge eines (eventuell befristeten) Friedensabkommens unbelastete Beziehungen pflegen, ja sich sogar entfalten können. (Es gilt derzeit unter Muslimen allerdings als umstritten, ob die westliche Welt mit ihrer Toleranz gegenüber Muslimen dem „Dar as-Salam“ zugerechnet werden kann.) Ziel und Aufgabe der Muslime ist es, den Islam auszubreiten und das islamische Gesetz überall aufzurichten. Die Islamisierung der Welt ist ein fester Bestandteil islamischer Weltanschauung. Darin wird einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Islam und Christentum deutlich. Aus biblischer Sicht beginnt das Reich Gottes im Herzen einzelner Menschen und dehnt sich von dort auf eine Gemeinschaft von Gläubigen aus. Entscheidend ist, was im Leben einzelner Menschen geschieht. Die Einnahme oder Herrschaft über ein Land spielt dabei keine Rolle. (Was allerdings in der Kirchengeschichte häufig anders gehandhabt wurde.) Im Islam dagegen ist die entscheidende Frage, welches Rechtssystem in einem bestimmten Territorium herrscht.

Der Weg zur Ausbreitung des Islam wird durch den Begriff des „Dschihad“ beschrieben (Dschihad = Einsatz, Bemühen – von der Wurzel dschim-ha-dal = sich abmühen, anstrengen, auch durch Kampf), oft auch mit „Heiliger Krieg“ übersetzt.

Gelegentlich wird auch der arabische Begriff qital mit „Kampf“ übersetzt; dessen arabische Wurzel qaf-ta-lam trägt allerdings u.a. die Bedeutung „töten“. Von daher müsste qital zutreffender mit „im Kampf töten“ wiedergegeben werden und ist somit dem Oberbegriff des Dschihad als eine besondere Form des Kampfes zuzuordnen.

Aufgetragen ist dieser Einsatz für Gott jedem Muslim: „Und kämpft um Gottes willen!“ (2,244) „Kämpft nun gegen die Freunde des Satans!“ (4,76; u.v.a.m.), wobei den Kämpfenden auf Grund der Hilfe Allahs (8,12+17; 22,38) verheißen wird:

„Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein“ (5,56).

Eines Tages wird daher nach islamischer Auffassung die ganze Welt zum „Dar-el-Islam“, zum „Haus des Islam“, gehören. Das Leben aller Menschen wird dann von der „Sharia“, dem islamischem Recht, beherrscht, auch wenn nicht alle Menschen Muslime sein werden.

Je nach Situation, Standpunkt und Mentalität des Einzelnen oder aber der Gemeinschaft der Muslime in einer bestimmten Region und Zeit kann dieser Kampf zur Aufrichtung des Islam ein weites Spektrum von Maßnahmen umfassen. Schon das Bemühen um die eigene Frömmigkeit kann dazu gezählt werden; sodann die Eheschließung mit Nicht-Muslimen, wobei die Kinder in jedem Fall Muslime sind; die Durchsetzung des öffentlichen Gebetsrufes (der weit mehr ist, als die bloße Aufforderung zum Gebet) oder der Bau von Moscheen in nicht-islamischen Ländern; das Auslegen des Korans in Hotels oder Maßnahmen zur Verbreitung des Islam, die man im christlichen Bereich als „Mission“ bezeichnen würde. Auch wirtschaftspolitische Maßnahmen gehören hierzu: Wenn z.B. Togo, ein Staat mit weniger als einem Drittel Muslime, Entwicklungshilfe von islamischen Staaten unter der Bedingung erhält, sich einer Föderation islamischer Staaten anzuschließen – was unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der zwei Drittel Nicht-Muslime haben wird – bereitet das der Durchsetzung des Islam den Weg. Und auch der bewaffnete Kampf (direkt oder indirekt über die Finanzierung anderer, wie z.B. von Rebellengruppen wie im Jahr 2003 an der Elfenbeinküste), die Unterstützung und Durchführung von Selbstmordattentaten und Terroranschlägen können Ausdrucksformen des „Dschihad“ sein.

Töten für Gott

Zwar gilt für das Alltagsleben der Muslime der Satz:

„[Gott] verbietet, was abscheulich und verwerflich ist, und gewalttätig zu sein“ (16,90).

Im Einsatz für den Islam aber wird dies stark relativiert. Ein Beispiel hierfür finden wir in einer Episode aus dem Leben Muhammads zur Zeit des „heiligen Monats“. Muhammad hatte die allgemein anerkannte Regel gebrochen, nach welcher auf der Arabischen Halbinsel im so genannten „heiligen Monat“ kriegerische Auseinandersetzungen untersagt waren. Er griff von sich aus ahnungslose Karawanen an und rechtfertigte dies im Nachhinein mit einer Offenbarung, die besagte:

„In ihm [dem heiligen Monat] ist kämpfen ein schweres Vergehen. Aber vom Weg Gottes abhalten – und nicht an ihn glauben – und von der heiligen Kultstätte (abhalten), und deren Anwohner daraus vertreiben, wiegt bei Gott schwerer. Und der Versuch, zu verführen, wiegt schwerer als Töten“ (2,216).

Dies ist (ebenso wie die Episode vom verbotenen Fällen von Palmen im Krieg; s. Sure 59,5) ein Beispiel dafür, wie der Kampf für Allah es rechtfertigen kann, sich über Verträge und feste Konventionen hinwegzusetzen. Ähnliches wird in der Anekdote von Mose (18,74+80) deutlich: Mose tötet einen Jungen und rechtfertigt dies mit den Worten:

„Und was den Burschen angeht, so waren seine Eltern gläubig (er aber nicht). Und wir fürchteten, daß sie unter seiner Widersetzlichkeit und seinem Unglauben zu leiden haben würden.“

Da diese Anekdote im Koran nicht kritisch erzählt oder das Vorgehen Moses verurteilt wird, lässt sie nach Auffassung mancher Muslime den Schluss zu, dass allein solch eine Befürchtung ausreichen kann, die Tötung eines Menschen zu rechtfertigen.

Explizit aufgerufen wird im Koran zum Töten der „Heuchler“, also der Menschen, die so tun, als wären sie Muslime, sich dann aber im entscheidenden Moment vom Islam abwenden:

„Wenn sie sich abwenden, dann greift sie und tötet sie, wo ihr sie findet“ (4,89).

Nach übereinstimmender Ansicht aller vier islamischen Rechtsschulen gilt dies – mit gewissen verfahrensmäßigen Variationen – auch heute noch für Konvertiten: der Abfall vom Islam soll nach der Sharia mit dem Tode bestraft werden. Für die Heiden formuliert der Koran:

„Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf“ (9,5).

Ihrem Schicksal können die „Heiden“ nur durch Bekehrung zum Islam oder durch Unterwerfung unter die muslimische Herrschaft entrinnen (9,5–6) Härte gilt auch den ausgesprochenen Feinden des Islam:

„Kämpft um Gottes willen gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen!“ (2,190).

„Der Lohn derer, die gegen Gott und seinen Gesandten Krieg führen und im Land auf Unheil bedacht sind, soll darin bestehen, daß sie getötet oder gekreuzigt werden, daß ihnen wechselweise Hand und Fuß abgehauen wird, oder daß sie des Landes verwiesen werden. Das kommt ihnen als Schande im Diesseits zu. Und im Jenseits haben sie eine „gewaltige Strafe“ zu erwarten, ausgenommen diejenigen, die umkehren, bevor ihr Gewalt über sie habt? (5,33+34) Wodurch im einzelnen Gegnerschaft definiert wird, darüber gehen die Meinungen unter Muslimen auseinander. Jedenfalls aber beginnt sie schon weit vor der Gewaltanwendung gegen Muslime und kann bereits in der bloßen Ablehnung des islamischen Herrschaftsanspruchs oder in der Kritik am Islam erkannt werden.

Kampf und Töten können jedem Gläubigen aufgetragen werden:

„Nun müssen sie [die Gläubigen] um Gottes willen kämpfen und dabei töten und den Tod erleiden“ (9,111).

Dass es bei diesem Kampf vorrangig nicht um einen symbolischen oder inneren Kampf geht, wird aus dem Gesamtzusammenhang der Suren 8 und 9 deutlich, die sich schwerpunktmäßig mit dem Krieg der Muslime gegen die Gegner des Islam befassen. Wen in diesem Kampf der Tod ereilt, der erhält bei Gott großen Lohn:

„Und du darfst ja nicht meinen, daß diejenigen, die um Gottes willen getötet worden sind, tot sind. Nein, lebendig, und ihnen wird bei ihrem Herrn beschert“ (3,169; vgl. 3,157+158; 4,74; 22,58+59).

Die auf solchen Aussagen beruhende Hoffnung, als Märtyrer unmittelbar ins Paradies einzugehen, diente und dient vielen Muslimen als Triebfeder zum Kampf oder zu Selbstmordattentaten.

Das Verhältnis zu den Schriftbesitzern

Wie bereits erwähnt, sollen Muslime sich nach Aussage einiger Koranverse der Freundschaft mit Schriftbesitzern enthalten. Darüber hinaus aber sind diese auch zu bekämpfen und zu unterwerfen:

„Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören – von denen, die die Schrift erhalten haben – bis sie kleinlaut aus der Hand Tribut entrichten!“ (9,29)

Toleranz ihnen gegenüber bedeutet aus islamischer Sicht nicht, dass sie gleichberechtigt in einem islamischen Staat leben und wie Muslime in voller Freiheit ihren Glauben praktizieren könnten. Sie haben vielmehr als Bürger zweiter Klasse ein (vorläufiges) Existenzrecht. Bestimmt aber wird ihr Leben vom islamischen Recht. So konnten unter islamischer Herrschaft Muslime, Juden und Christen Jahrhunderte lang nebeneinander leben, Juden und Christen jedoch stets als Unterworfene.

Dabei haben Juden eine niedrigere Stellung als Christen. Sie stehen quasi auf einer Stufe mit den Heiden, denn sie zeigen sich „den Gläubigen gegenüber am meisten feindlich“ (5,82). Deshalb ist Allahs erklärte Absicht für die Juden:

„Im Diesseits wird ihnen Schande zuteil, und im Jenseits haben sie ein gewaltige Strafe zu erwarten“ (5,41; vgl. 2,85).

Koranaussagen wie diese spielen in der heutigen Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern eine nicht unwichtige Rolle. Hinzu kommt die Tatsache, dass ein Gebiet, das einmal islamisch war, nach islamischer Anschauung nie wieder de-islamisiert werden kann. Nach diesem Verständnis ist auch das heutige Staatsgebiet Israels eigentlich islamisches Territorium. Und die muslimischen Armeen sind dazu verpflichtet, islamisches Gebiet, das einmal verloren gegangen ist, wieder zu erobern. (22,38-40).

Das Beispiel Muhammads und die islamische Frühgeschichte

Wie bereits angedeutet, hat Muhammad sich nach seiner Auswanderung von Mekka nach Medina (der hijra im Jahre 622 n.Chr., dem Beginn der islamischen Zeitrechnung) bei der Verfolgung seiner Ziele nicht nur der Gewalt bedient, sondern dabei auch wiederholt feste Konventionen gebrochen. Ein Beispiel für Muhammads Machtstreben und Kampfbereitschaft bildet dabei die Vernichtung des letzten der drei jüdischen Stämme in Medina, wobei mehr als 600 Gefangene hingerichtet wurden. Allerdings eröffnet der Koran auch die Möglichkeit zu einem Waffenstillstand, wenn der nicht-muslimische Feind zu stark ist und nicht überwunden werden kann (3,28). Der Präzedenzfall dafür findet sich in Muhammads eigener Biographie: Im Jahre 628 wollte Muhammad als Pilger in seine Heimatstadt Mekka zurückkehren. Doch die Stadt wurde von den Stämmen der Quraish beherrscht, die sich seiner Herrschaft nicht unterwerfen wollten. Weil die Quraish zu stark waren und von Muhammad nicht unterworfen werden konnten, schloss er einen zehnjährigen Waffenstillstand mit ihnen. Die Quraish fühlten sich sicher und rechneten offensichtlich nicht mehr mit einem Kampf, woraufhin Muhammad nur kurze Zeit darauf, im Jahre 630, mit 10.000 Soldaten in Mekka einmarschierte. Sowohl das Massaker an den Juden als auch der Vertragsbruch mit den Mekkanern werden im Koran gerechtfertigt, denn sie dienten der Ausbreitung des Islam und der Unterwerfung seiner Feinde.

Der vor Muhammads Tod im Jahre 632 eingeleitete Eroberungsfeldzug des Islam setzte sich unter den Nachfolgern des Propheten unvermindert fort: 635 fiel Damaskus, 638 Jerusalem, 640 Ägypten, 711 überquerten die muslimischen Heere die Straße von Gibraltar und wurden erst durch die Niederlagen bei Tours und Poitier 732 n.Chr. in ihrem Vormarsch gestoppt. Diese Expansion wird etwa in den Schulbüchern der ägyptischen Mittelschule als Ruhmestat nacherzählt und die Anwendung von Gewalt damit gerechtfertigt, dass die bekämpften Völker die “Einladung„ abgelehnt hätten, entweder Muslime zu werden oder die Kopfsteuer zu entrichten. Heute dient das Vorbild dieser Epoche dazu, potentielle Selbstmordattentäter zu rekrutieren (vgl. eine entsprechende dpa-Meldung vom 11.09.02, 14:44 Uhr). Und während von Seiten vieler Muslime die christlichen Kirchen noch heute – zu Recht! – für das unchristliche Unternehmen der Kreuzzüge kritisiert werden, findet eine kritische Reflexion der den Kreuzzügen lange vorausgegangenen gewaltsamen islamische Expansion im allgemeinen nicht statt.

Schlussfolgerung

Da der Koran zu manchen der genannten Themen unterschiedliche Aussagen macht, finden wir im Alltag unter Muslimen ein weites Spektrum von Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen, die sicher auch von persönlichen Prägungen und Erfahrungen des Einzelnen bestimmt sind. Dennoch gilt es festzuhalten, dass trotz dieser unterschiedlichen Positionen im Koran die negativen Aussagen über Nicht-Muslime bei weitem überwiegen. Insgesamt wird die islamische Religion und Gemeinschaft als den übrigen Religionen und Gesellschaften überlegen dargestellt. Muslime werden aufgefordert, sich nicht nur von Nicht-Muslimen fernzuhalten, sondern im Einsatz für Gott diese zu bekämpfen und letztlich zu besiegen, wobei das Töten des Gegners nicht nur hingenommen, sondern an vielen Stellen ausdrücklich gefordert wird. Da diese Praxis sich auch im Leben Muhammads und in der islamischen Frühzeit wiederfindet und sich durch die Geschichte des Islam bis in die Neuzeit hinein fortsetzt (vergleiche die Situation in Fragen der Religionsfreiheit in heutigen islamischen Staaten), kann man sie schwerlich als eine religionsgeschichtliche Randerscheinung oder den Irrweg von Fanatikern abtun. Es ist Aufgabe westlicher Politiker, Islam-Experten und Medien, auf diese Tatsachen hinzuweisen, um eine realistische Grundlage für den Dialog zu finden. Es ist andererseits Aufgabe islamischer religiöser und politischer Führer, anzuerkennen, dass sich die Vereinbarkeit und Bejahung von Islam und Gewalt im Koran, im Leben des Propheten und der Kalifen sowie in der gegenwärtigen politischen und religiösen Wirklichkeit des Islam wiederfindet. Nur wenn die Verantwortlichen in der islamischen Welt im Zuge einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit zu einer klaren Absage an Gewalt ohne Wenn und Aber finden und eine solche auch ihren Nationen und Völkern vermitteln, wird ein aufrichtiger und Erfolg versprechender Dialog zwischen islamischer und nicht-islamischer Welt möglich sein.