Die Eigenschaften Gottes im Islam und im Koran

Prof. Dr. Christine Schirrmacher

Vorwort

Der Koran enthält an keiner Stelle eine systematische Abhandlung über das Wesen oder die Eigenschaften Gottes, der im arabischen „Allah“ genannt wird, was nichts anderes bedeutet als „der Gott“. Er wird im Koran nicht wie im Alten Testament vorgestellt („Ich bin, der ich bin“ 2Mose 3,14). Er bleibt vielmehr verborgen, ein Geheimnis. Er ist vollkommen losgelöst von seiner Schöpfung und in keiner Weise mit seinen Geschöpfen vergleichbar, denn „nichts ist ihm gleich“ (Sure 42,11). Weil Gott ein Geheimnis ist, kann der Mensch sich keine Vorstellung von ihm machen. Das stände ihm auch gar nicht zu. Er kennt nur die Namen Gottes, die ihm im Koran beigelegten Attribute und erfährt von seinem Handeln mit den Menschen. Daß Gott nur einer ist, ihm nichts gleicht und er mit nichts zu vergleichen ist, das ist das Zentrum der koranischen Botschaft und der islamischen Dogmatik, der „tauhid“ (die Einsheit Gottes):

„Er ist Gott, ein Einziger, Gott der Ewige! Er zeugt nicht, und er wurde nicht gezeugt! Und es gibt niemand, der ihm gleicht!“ (112,1-4)

Dieser Gott wird vor allem von drei Bereichen gekennzeichnet, von Schöpfung, Erhaltung und Gericht. Der Koran berichtet, daß Gott am Anfang die Welt und die Menschen erschuf. Am Ende der Tage wird jeder Mensch ins Gericht kommen und Vergeltung erfahren von dem allmächtigen, aber auch gnädigen Gott, dem nichts verborgen bleibt, auch kein Blatt, das zu Boden fällt (6,59). Gott ist der einzige Gott, transzendent und existent, allmächtig und allgegenwärtig, unveränderlich und unvergänglich, ewig und unerschaffen, allwissend und unumschränkt in seiner Herrschaft: „Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt. Messungen können ihn nicht umfassen, Schleier können ihn nicht bedecken. Die versuchen ihn zu ergreifen, können ihn nicht erfassen, nach dem Menschen kann er nicht gemessen werden, das Geschöpf gleicht ihm unter keinem Aspekt.1

Heute hat sich im Islam die Auffassung durchgesetzt, daß Allah 99 Namen besitzt, mit denen die Gläubigen ihn anbeten können.

Gott, der Richter

Schon in der Frühzeit des Islam verkündigte Muhammad Gott als Richter im Jüngsten Gericht, in dem alle Menschen ohne Ausnahme zur Verantwortung für ihr Handeln und ihren Glauben gezogen werden: „Die Stunde (ergänze: des Gerichts) kommt bestimmt. An ihr ist kein Zweifel möglich“ (40,59). Am Ende der Zeiten, zur von Gott festgesetzten Stunde, werden Tote und Lebendige zu Gott „zurückgebracht“:

„Und macht euch auf einen Tag gefaßt, an dem ihr zu Gott zurückgebracht werdet. Dann wird jedem voll und ganz das vergolten, was er (ergänze: während seines Lebens) begangen hat! Und ihnen (ergänze: den Menschen vor Gericht) wird nicht Unrecht getan“ (2,281),

denn Gott wird absolut gerecht richten. Das Tun jedes Menschen, das in einem Buch verzeichnet ist, wird auf einer Waage gewogen. Gläubige Muslime kommen ins Paradies, während Ungläubige auf ewig in die Hölle geworfen werden.

Gott, der Allmächtige

Die Allmacht Gottes ist eines der wichtigsten Kennzeichen Gottes im Koran. Oftmals hebt der Koran hervor, wie machtlos dagegen die Götzen sind. Nach Sure 22,73–74 können die Götzen mit gemeinsamer Anstrengung noch nicht einmal eine Fliege erschaffen, während der Allmächtige der Schöpfer des Himmels und der Erde und jedes einzelnen Menschen ist. Dem Menschen kommt es zu, die Allmacht Gottes und sich selbst als sein Geschöpf und Diener anzuerkennen, sich ihm zu unterwerfen und an ihn zu glauben, denn er schuldet ihm für sein beständiges Erbarmen Dank und Anbetung.

Obwohl es zwischen dem transzendenten Schöpfer und dem vergänglichen Geschöpf, dem Menschen, eigentlich keinen Vergleich und keine Verbindung gibt, hat Gott dem Menschen Wissen über ihn zukommen lassen. Wissen allerdings nicht im eigentlichen Sinn über seine Person und sein Wesen, denn es ist undenkbar, daß Gott seine Transzendenz überschritte, für menschliche Augen sichtbar würde oder in die Welt käme, um sich in menschlicher Weise zu offenbaren. Gott übermittelte vielmehr dem Engel Gabriel sein Wort, der es den einzelnen Propheten in der Geschichte überbrachte. Die Propheten übermittelten dann Gottes Botschaft den Menschen. So wurde die Offenbarung Gottes herabgesandt.

Trotz der Offenbarung und Gottes Handeln in der Geschichte bleiben der Bereich Gottes und der des Menschen deutlich und unüberwindbar voneinander abgegrenzt. Das bedeutet jedoch nicht, daß Gott dem Menschen fern wäre. Der Koran spricht vielmehr davon, daß Gott dem Menschen „näher ist als seine Halsschlagader“ (50,16). Damit wird jedoch vor allem Gottes Allgegenwart betont. Auch die Aussage: „er ist der Freund der Gläubigen“ (3,68) betont Gottes Erbarmen mit den Menschen, ist aber auf keinen Fall so zu verstehen, daß Gott mit den Menschen etwas gemeinsam hätte. Unvereinbar mit dem koranischen Gedanken von der Unvergleichlichkeit Gottes mit seinen Geschöpfen wäre auch, Gott als „Vater“ zu bezeichnen, als Vater Jesu Christi und Vater seiner Geschöpfe. Den Gedanken der Gottessohnschaft und Vaterschaft Gottes, der im Islam im physischen Sinn verstanden und in Bezug auf den christlichen Glauben aufgegriffen wird, lehnt der Koran entschieden ab, ebenso wie die christliche Auffassung von der Dreieinigkeit, die nach Auffassung des Korans ebenso Vielgötterei bedeutet wie der Polytheismus der arabischen Landsleute Muhammads.

Außer durch den Koran spricht Gott zu den Menschen durch „Zeichen“, die der Mensch in der Schöpfung erkennen kann, sowie in den früheren Propheten und den Berichten, wie Gott mit ihnen und ihrem Volk handelte. Mit diesen Zeichen ergeht sozusagen der ‚Ruf‘ Gottes an die Menschen, den sie entweder mit Unglauben oder Glauben beantworten können. Klassisch formuliert der Prophet Noah im Koran die Aufforderung Gottes an seine Landsleute:

„Dienet Gott, fürchtet ihn und gehorcht mir“ (71,3).

Die Allmacht Gottes, die im Koran an ungezählten Stellen zur Sprache kommt, umfaßt alle Bereiche. Gott erschuf die Welt, die Tiere und Menschen, die Geister und die Engel, das Gute und das Unheil:

„Kein Unheil geschieht, weder auf der Erde noch bei euch, das nicht in einem Buch wäre, noch ehe wir es erschaffen. Dies ist Gott ein leichtes“ (57,22), denn „uns wird nur das treffen, was Gott uns bestimmt hat“ (9,51).

Gott bestimmt den Todeszeitpunkt jedes Menschen:

„Aber Gott wird niemandem Aufschub gewähren, wenn seine Frist kommt“ (63,11).

Es ist letztlich Gott, der Glauben und Unglauben bei den Menschen hervorbringt: „Und wenn Gott einen rechtleiten will, weitet er ihm die Brust für den Islam. Wenn er aber einen in die Irre führen will, macht er ihm die Brust eng und bedrückt, als wenn er in den Himmel emporsteigen müßte. So straft Gott diejenigen, die nicht glauben“ (6,125). Noch deutlicher spricht Sure 7,179 davon, daß „viele von den Geistern und Menschen für die Hölle geschaffen“ wurden. Die Antwort auf die Frage, warum nicht alle Menschen Muslime werden, lautet im Koran: Gott hat es nicht gewollt:

„Und wenn dein Herr nur wollte, würden die, die auf der Erde sind, alle miteinander gläubig werden. Willst nun du die Menschen zwingen, daß sie glauben? Niemand darf gläubig werden, es sei denn, Gott erlaubt es ihm“ (10,99-100).

Gleichzeitig betont der Koran, daß jeder Mensch von Gott im Jüngsten Gericht für seinen Glauben oder Unglauben zur Rechenschaft gezogen wird. Jedem Menschen wird am Jüngsten Tag das vergolten, was er hier auf der Erde getan hat, sei es Gutes oder Böses:

„Gott verlangt von niemandem mehr, als er vermag. Jedem kommt zugute, was er verdient, und über ihn bricht herein, worin er gesündigt hat“ (2,286).

Beide scheinbar miteinander unvereinbare Positionen – die Verantwortung des Menschen und Gottes Bestimmung eines jeden Menschen zu Glauben oder Unglauben – stehen im Koran nebeneinander. Der Mensch kann Gott nicht für seinen Unglauben oder seine Sünden verantwortlich machen. Wenn er aber als gläubiger Muslim ins Paradies eingehen darf, ist es Gottes Erbarmen.

Diese Koranverse zur Prädestination können als Spiegel der Situation Muhammads betrachtet werden: Mit seinem Ruf zur Umkehr zu Gott, dem Einzigen und Allmächtigen, wendet er sich gegen den im vorislamischen Arabien verbreiteten absoluten Schicksalsglauben seiner Zeigenossen. Gleichzeitig muß er sich aber selbst die anhaltende Verstocktheit der Mekkaner und teilweise auch der Medinenser erklären, die seiner Botschaft in den ersten 12 Jahren seiner Verkündigungen so gut wie gar keinen Glauben schenkten. So verbindet sich im Koran die Allmacht Gottes und Vorherbestimmung aller Dinge mit der Verantwortung des Menschen.

Da Gott allmächtig ist und niemand je sein Wesen erfaßt und erkannt hat, kann der einzelne Muslim nicht mit Gewißheit wissen, ob Gottes Barmherzigkeit und Gnade für ihn gelten oder ob er ihm am Ende der Tage doch zürnen wird und ihn zur Hölle verurteilt:

„Nicht so der Herr der Menschen in aller Welt, der mich geschaffen hat und nun rechtleitet, der mir zu essen und zu trinken gibt und mich heilt, wenn ich krank bin, der mich sterben läßt und dann lebendig macht, und von dem ich hoffe, daß er mir am Tag des Gerichts meine Sünde vergibt“ (2,77–82).

Zwar wird Gott als der Gnädige und Barmherzige, ja auch als der Verzeihende und Großmütige bezeichnet, aber über die Vergebung in Bezug auf seine eigene Person wird jeder Muslim erst nach seinem Tod Gewißheit erlangen. Gottes Entscheidung im Gericht vorherzusagen, hieße, seine Allmacht zu beschränken. Gottes Verhalten ist niemals vorhersagbar, sonst würde er sich ja in menschliche Vorstellungsweisen hineinzwängen lassen. Auf Gott kann niemand und nichts Einfluß nehmen. Er ist niemand Rechenschaft schuldig. Außerdem ist der Gott des Korans auch ein listiger Gott. Immer wieder wird betont, daß er sich die besten Listen ausdenkt. Sure 13,13 formuliert: Und nicht zuletzt ist Allah, wie der Koran ihn beschreibt, auch ein listiger Gott: Er schmiedet die besten Ränke (3,54) und ersinnt Listen: „Allah ist voller Tücke“ (13,13, Rudi Paret).

Gott, der Schöpfer

Außer der oft wiederholten, allgemeinen Feststellung, daß Gott den Himmel und die Erde, sowie alle Menschen geschaffen hat, enthält der Koran keinen detaillierten Bericht über die Schöpfung, so wie das Alte Testament. Eine gewisse Ausnahme bildet Sure 41,9–13, die die Schöpfung in sechs Tagen beschreibt: Zuerst schuf Gott in zwei Tagen Himmel und Erde aus einer Urmasse, dann setzte er die Berge, Flüsse und Pflanzen auf die Erde. Aus dem Wasser erschuf er die verschiedenen Tiere und machte den Menschen zum Beherrscher der Tiere. An keiner Stelle im Koran allerdings heißt es, daß der Mensch „zum Bild Gottes“ geschaffen sei, wie es das Alte Testament betont (1.Mose 1,21). Dies wäre nicht vereinbar mit der Größe und Einzigartigkeit Gottes, die in keinem Vergleich zum Menschen stehen kann. Außerdem war nach Sure 40,57 die Erschaffung von Himmel und Erde ein „größeres Wunder“ als die Erschaffung des Menschen. Dagegen ist nach dem Schöpfungsbericht des Alten Testamentes die Erschaffung des Menschen eindeutig der Höhepunkt der Schöpfung (1.Mose 1,21–31).

Übereinstimmend mit der Bibel berichtet der Koran, daß die gesamte Menschheit von einem einzigen Menschenpaar abstammt (6,98). Adam wurde aus einem Klumpen Lehm erschaffen. Gott sprach: Sei! (arab. „kun!“), und Adam war erschaffen (3,59). Das Schöpferwort Gottes läßt Dinge geschehen:

„Und wenn er eine Sache beschlossen hat, sagt er zu ihr nur: Sei!, dann ist sie“ (40,68).

Nach der Schöpfung hat Gott seinen von den Engeln getragenen Thron im siebten Himmel bestiegen (7,54). Von dort aus regiert er das All. In den unteren Himmeln befinden sich der Mond, die Sonne und die Sterne. Am untersten der sieben Himmel wacht ein Wächter, damit dort nicht die Satane den Ratschluß der Engel belauschen (37,1–9). Die Abfolge von Tag und Nacht ist Gottes Schöpferwerk (10,6). Die Sonne und der Mond geben am Tag und in der Nacht Licht und den Menschen durch ihren Lauf Mittel und Wege zur Zeitrechnung an die Hand (10,5). Gott stützt den Himmel, der ohne Säulen gebildet wurde (13,2), damit er nicht auf die Erde niederfällt (22,65). Ausdrücklich betont der Koran, daß Gott nach der Schöpfung nicht ermüdet war und nicht ruhte, wie es der Gott der Bibel tat:

„Wir erschufen die Himmel und die Erde und was zwischen beiden liegt, in sechs Tagen. Doch es berührte uns keinerlei Ermüdung“ (50,38).

Gott wird weder müde, noch braucht er Schlaf. Den Sabbat hat Gott nicht den Muslimen zugedacht (16,124), und so existiert bis heute in der islamischen Welt kein offizieller wöchentlicher Ruhetag, obwohl der Freitag eine Sonderstellung einnimmt. In einigen Ländern wurde aufgrund der europäischen Kolonialherrschaft der Sonntag als Ruhetag eingeführt.

Auf der Erde ist der Mensch ein von Gott eingesetzer „Nachfolger“ oder „Stellvertreter“.Gott überantwortet dem Menschen für seine kurze Lebenszeit Güter, gibt ihm Vollmacht darüber und schenkt ihm Wohlergehen, fordert am Ende seines Lebens jedoch Rechenschaft darüber, wie der Mensch sie verwaltet hat und ob er hinter diesen materiellen Dingen Gott als Geber aller Dinge erkannt hat. Deutlich geht aus dem Koran hervor, daß es gottgewollt ist, daß es Reiche und Arme gibt. Beide sollen gleichermaßen Gott als Schöpfer und Geber anerkennen, denn Gott stellt die Menschen in ihren verschiedenen Lebenslagen nur auf die Probe (z. B. 6,245), um zu sehen, wie sie sich darin bewähren würden. Für den Menschen ist diese Fürsorge Gottes ein Zeichen, an dem er Gott als Schöpfer erkennen sollte:

„Er ist es, der aus den Wolken Wasser herniederkommen läßt … Darin liegt ein Zeichen für Leute, die sich mahnen lassen … Vielleicht würdet ihr dankbar sein“ (16,10-14).

Gott, der Barmherzige

Mit Gott, wie er im Islam vorgestellt wird, wird oft das Bild eines willkürlichen Despoten verbunden. Zu Unrecht, wie Muslime meinen, denn der Koran hebt viele hundert Male die Gnade und Barmherzigkeit Gottes hervor. Jede Sure (mit Ausnahme von Sure 9) wird eingeleitet mit „Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen“, oder, wie man auch übersetzen könnte: „Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes“. Sure 7,156 formuliert sogar: „Aber meine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen.“ Für den Glaubenden erweist sich Gott als barmherziger Wohltäter, der Nachsicht übt und verzeiht, Gebete erhört und ihn beschützt, während der Ungläubige in Gottes Gericht keine Gnade zu erwarten hat.

Der Koran betont, daß Allah sich dem Menschen durch seine Güte offenbart. Auch Muhammad wird an die Güte Gottes erinnert und ermahnt die Menschen, der Güte Gottes zu gedenken und Gott dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit gegen Gott und das Wissen, daß alles von ihm kommt, kennzeichnet den gläubigen Muslim, während der Ungläubige zugleich auch immer ein Undankbarer ist, da er Gott nicht anerkennt und sich ihm nicht unterwirft. Der Koran betont, daß Gott nur die Rechtschaffenen liebt und auf seinem Weg nur diejenigen rechtleitet, die seinen Willen tun. Seinen Feinden kommt Gott nicht entgegen, und die über ihn spotten, haben von ihm nichts zu erwarten als Zorn und Verurteilung. Er liebt nicht die Ungerechten, die Ungläubigen, die Übertreter und die, die Böses tun.

Der Mensch steht im Verhältnis eines Dieners oder Sklaven zu Gott. Er soll sich Gott und Gottes Willen ganz und gar ergeben (arab. aslama = sich ergeben, hingeben, sich Gott ausliefern, sich in den Willen Gottes ergeben, Muslim werden). Diese Stellung des Menschen Gott gegenüber kommt auch darin zum Ausdruck, daß er sich vor Gott bei jedem seiner fünfmaligen täglichen Gebete niederwirft. Sure 35,16 betont, daß die Menschen „arm und auf Gott angewiesen“ sind, während Gott seinerseits auf niemand angewiesen ist. Wer Gott anruft, tut es – wie es im Gegensatz dazu die Bibel bezeugt – nicht als sein Kind, sondern immer nur als Diener, das ist die einzige im zukommende Position:

„Niemand in den Himmeln und auf der Erde wird zum Erbarmer anders denn als Diener kommen können“ (19,93).

Die Unterwerfung des Menschen unter Gottes Allmacht und die Anerkennung seiner Herrschaft führt den Menschen zur Furcht Gottes und zum Glauben an ihn. Wenn sich der gnädige und barmherzige Gott im Koran den Menschen zuneigt, dann bedeutet das, daß er ihnen für seine Offenbarung das Ohr öffnet und sie den richtigen Weg, d. h., den Weg des Islams, führt.

Allah, ein Gott der Liebe?

Der Gott des Korans wird jedoch nicht nur als Barmherziger und als Wohltäter beschrieben. Mehrere Koranverse sprechen von der Liebe Gottes:

„Sag: Wenn ihr Gott liebt, dann folgt mir, so wird Gott euch auch lieben und euch eure Schuld vergeben! Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben“ (3,31).

Unter muslimischen Theologen herrschen allerdings unterschiedliche Auffassungen darüber, was unter der Liebe Gottes zu verstehen ist.

„Die Vertreter der Orthodoxie definieren die Liebe der Menschen zu Gott als die Bereitschaft, ihm zu gehorchen und zu dienen, als die Liebe zu seinen Bestimmungen, zu seiner Huld und zu seiner Belohnung. Denn, so argumentieren sie, die Liebe als gegenseitige Neigung wie unter Freunden oder gar unter Liebenden beinhaltet die Gleichstellung von Geliebtem und Liebendem. Aber die Transzendenz Gottes verbietet es, an eine solche Beziehung zwischen Gott und den Menschen zu denken. Daher ist die Annahme, daß zwischen den Menschen und Gott eine solche Liebe der Freundschaft und der Innigkeit bestehen kann, irrig, sie kommt einer unerträglichen Anmaßung von seiten des Menschen und einer lästerlichen Herabwürdigung Gottes gleich.“2

Die Ablehnung der Aussage, daß zwischen Gott und Menschen Liebe herrschen könnte, entspringt der Vorstellung von der Allmacht Gottes, seiner Transzendenz und völligen Andersartigkeit, aufgrund derer ein Vergleich zum Menschen, zu zwischenmenschlichen Empfindungen oder Eigenschaften undenkbar wäre.

Anders als in der Orthodoxie ist in der islamischen Mystik die Auffassung von der Liebe Gottes. Hier erstrebt der Gläubige die Annäherung an Gott und die Verschmelzung mit ihm bis zur Innewohnung Gottes in seiner Person. Bei der Versenkung des Gläubigen in Gott wird die Transzendenz Gottes aufgehoben, der unüberwindbare Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf überbrückt. Dies kann nur mittels der mystischen Versenkung geschehen, die von der orthodoxen islamischen Theologie nicht selten auch deshalb hart angegriffen wurde. Hier versucht jedoch der Mensch, Gott zu lieben, weiß aber letztlich auch nicht, ob Gott ihn liebt.

Unterschiede zu biblischen Aussagen – Gott als ein Gott der Liebe: Es ist zutreffend, daß sich zwischen der Beschreibung Gottes, wie sie uns der Koran vermittelt wird und der Beschreibung Gottes, wie sie uns in der Bibel entgegentritt, auf den ersten Blick manche Gemeinsamkeiten feststellen lassen, die vielleicht umfassender sind als bei jedem anderen heiligen Buch einer Religionsgemeinschaft. Gott, der Schöpfer, der Richter, der Herr über das Universum, der den Menschen ein heiliges Buch übermittelt, die Vorstellung von Sünde und Vergebung, das Fehlverhalten der ersten Menschen im Paradies, Satans Versuche zur Verführung der Menschen zur Sünde und die Verurteilung aller Ungläubigen zur Hölle bzw. die Erlaubnis zum Eingang ins Paradies für die Gläubigen, die Erwähnung von Adam, Hiob, Abraham, Mose, Jesus, Maria und einigen anderen biblischen Personen im Koran könnten Anlaß zu der Überlegung geben, ob nicht die Gemeinsamkeiten zwischen Bibel und Koran größer sind als ihre Unterschiede. Diese Frage soll hier nur an einem einzigen Beispiel, der Liebe Gottes, näher beleuchtet werden:

Im Vergleich zur Bibel fällt auf, daß der Koran zwar von der Gnade und Barmherzigkeit, ja auch von der Liebe Gottes spricht, daß aber diese Liebe weder das Wesen Gottes beschreibt, noch das Zentrum der koranischen Botschaft darstellt. Das Zentrum der koranischen Botschaft ist vielmehr das Bekenntnis zur Einzigartigkeit und Einheit Gottes (arab. tauhîd), sowie seine Allmacht und Stärke.

Obwohl der Koran den Begriff der ‚Liebe‘ benutzt, unterscheidet sich die Bedeutung und Tragweite des Begriffs der ‚Liebe‘ in Bibel und Koran grundlegend voneinander. Wenn in vielen verschiedenen biblischen Büchern betont wird, daß Gott nicht nur Liebe schenkt oder liebevoll handelt, sondern er selbst Liebe ist (1. Johannes 4,8+16), ein „Gott der Liebe“ (2. Korinter 13,11), dann geht die Tragweite dieser Botschaft weit über den koranischen Ansatz der Liebe Gottes hinaus. Die Liebe zu seinen Geschöpfen existiert für Gott, wie er in der Bibel beschrieben wird, nicht etwa in der Theorie. Die Liebe war Beweggrund und Motor für sein Handeln in der Geschichte, die ihren Höhpunkt fand in der Sendung seines Sohnes Jesus Christus, denn „so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab …“ (Johannes 3,16).

Der menschgewordene Gottessohn Jesus war ebenso wie sein Vater die Verkörperung der Liebe, „die Liebe Gottes unter uns“ (1. Johannes 4,9). Weil Gott selbst Liebe ist, geht alle Liebe von Gott aus:

„Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott“ (1. Johannes 4,7).

Alle Beziehungen der Menschen untereinander und ihre Beziehung zu Gott sollen von Liebe geprägt sein.

Das größte Opfer und die selbstloseste Tat gelten vor Gott als nichtig, wenn ihr Beweggrund nicht die Liebe zu Gott und dem Nächsten war. Das ‚Hohelied der Liebe‘ in 1. Korinter 13,1-3 beschreibt dies besonders eindrücklich:

„Wenn ich mit Menschen und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte die Liebe nicht, so wär mir’s nichts nütze“ (1. Korinther 13,1-3).

Weil Gott, der Ursprung aller Liebe, den Menschen seine Liebe schenkt, ist der Mensch in der Lage, Gott und seinem Nächsten seinerseits Liebe zu erweisen. Schon das höchste der Zehn Gebote enthält diese Verpflichtung zur Liebe:

„Du sollst Gott, den Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzer Kraft … Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18, zitiert in Matthäus 22,37-39).

Daher soll das Wesen der Ehe und Familie, der Gemeinde und letztlich die Beziehungen zu allen Menschen bis hin zu den Feinden von Liebe geprägt sein. Wenn der Koran auch durchaus den Wert der Versöhnung zwischen verfeindeten Parteien hochschätzt, so gibt er doch keinen Hinweis darauf, daß die Liebe gerade dort regieren soll, wo es um das Verzeihen einer bösen Tat eines Feindes geht (wie Paulus im Römerbrief:

„Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor … Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen, segnet, und flucht nicht … Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann … Vielmehr, wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,9+13-14+17+20-21).

Auch der vor allem im Neuen Testament immer wieder geäußerte Gedanke, daß sich Liebe besonders dort ausdrückt, wo Opfer gefordert sind, ist dem Koran unbekannt. Im Neuen Testament begegnet uns dieser Opfergedanke natürlich insbesondere im Zusammenhang mit dem Tod Jesu (Johannes 3,16), aber auch allgemein:

„Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde“ (Johannes 15,13).

Daß das aufopferungsvolle Denken und Handeln für andere, das das neutestamentliche Gemeindeleben und das Miteinander in der Ehe und Familie kennzeichnen soll (Epheser 5), ein Liebesbeweis ist („Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe“, Johannes 15,12), das ist einzigartiges biblisches Gedankengut, das ebenfalls nicht im Koran zu finden ist.

Das Alte und insbesondere das Neue Testament betonen mehrfach, daß der Motor für das Handeln Gottes mit den Menschen seine Liebe ist, die ihn zum Retten, zum Erinnern an seine Gebote durch seine Propheten und schließlich zum Senden seines Sohnes veranlaßt. Höhepunkt der Liebe Gottes ist die Kreuzigung, denn sie ist der Ausdruck des größten Opfers, das Gott für die Menschen bringen konnte. Gott liefert sich durch Jesus seinen Feinden aus, er gibt sich selbst hin, um Erlösung zu ermöglichen. Das Handeln Gottes entspringt seiner Liebe für die Menschen, und zwar noch bevor sie etwas für Gott erbracht haben oder ihn verehrten. Weil Gott seinen Sohn für Menschen gegeben hat, kann auch der Mensch wieder auf diese Liebe antworten und das tun, was Gott in seiner Liebe angeordnet hat.

Diesen umfassenden Liebesbegriff, der das Sorgen für andere, den Dienst und das Opfer am Nächsten, ja sogar die Liebe des Feindes bis zum Tod miteinschließt, kennt tatsächlich nur die Bibel, auch wenn der Koran die Begriffe Liebe und Barmherzigkeit an vielen Stellen verwendet.


  1. al-Asch’ari. Maqalat al-islamiyyin. Kairo 1950, I, S. 216-217, zitiert nach Johan Bouman. Gott und Mensch im Koran. Eine Strukturform religiöser Anthropologie anhand des Beispiels Allah und Muhammad. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt, 1977/1989, S. 3. 

  2. Der Koran Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar von Adel Theodor Khoury. 10 Bde. Bd. 2: Sure 2,75-2,212. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Gütersloh, 1991, S. 207-208.